[Note: the following text is taken from Hirsh, Theodor, Töppen, Max, Strehlke, Ernst, Scriptores rerum Prussicarum: die Geschichtsquellen der Preussischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, 2e Band, Leipzig: Hirzel, 1863, pp.429ff. (Google Books). As the text is lengthy, I update this page as I my work goes; and because of the same reason it will take considerable time to make this page complete.]

VI.
DIE CHRONIK WIGANDS VON MARBURG
ORIGINALFRAGMENTE, LATEINISCHE UEBERSETZUNG UND
SONSTIGE UEBERRESTE

HERAUSGEGEBEN VON THEODOR HIRSCH.

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EINLEITUNG.

    So wie in den mitgetheilten preussischen Heiligengeschichten ein getreues Bild der im 14. Jahrh. in den Gemüthern lebendigen, trotz so mancher krankhaften Ausschreitungen noch immer achtungswerthen Glaubensinnigkeit niedergelegt ist, so wäre auch die Chronik Wigands von Marburg in ihrer ursprünglichen Form vorzugsweise dazu geeignet gewesen, uns von den in demselben Jahrh. in der ritterlichen Welt des Ordenslandes herrschenden Neigungen und Bestrebungen eine unmittelbare Anschanung zu gewähren. Durch ein eigenthümliches Geschick jedoch ist dieses Werk nicht in seiner ursprünglichen, sondern in einer veränderten und dabei uns nach Form und Inhalt so abschreckenden Gestalt überliefert worden, dass es jetzt in der That schwer hält, durch eine so mangelhafte Schale zu dem nichts desto weniger bedeutenden und der Erforschung würdigen Kerne durchzudringen. — Wir berichten im Folgenden zunächst von der Entdeckung dieses Geschichtswerkes, untersuchen sodann die Beschaffenheit der mannichfaltigen von ihm uns hinterbliebenen Ueberreste, handeln drittens von der Eigentümlichkeit der Chronik und der Person ihres Verfassers und besprechen schliesslich die bei der Bearbeitung derselben befolgten Grundsätze.

I.

    Eine Notiz, welche der danziger Secretar und Chronicant Caspar Schütz in der ersten von ihm selbst besorgten Auflage seiner Preussischen Chronik (Zerbst 1592. fol. durch Bonaventur Schmid) bei Aufzählung der von ihm benutzten Geschichtsquellen giebt, und welche in den nach seinem Tode, 1594. 16. Sept., erschienenen zwei Editionen seines Werkes (der 2. Auflage 1599 bei Henning Grosz. s. l. [Leipzig] fol. und einer lateinischen Bearbeitung Danzig 1769. ed. G. Lengnich fol.) wiederholt wird, lehrte, dass im 16. Jahrh. eine deutsche Reimchronik vorhanden war, welche von Wigand von Marburg verfasst die Kriegsthaten des D. O. in Preussen und Littauen während des 14. Jahrh. behandelte. Wiewohl jedoch sowohl die Proben, welche Schütz an verschiedenen Stellen aus dem Originale mittheilte, als auch die Thatsachen, welche er mit Berufung auf diese Quelle berichtete, den hohen geschichtlichen Werth derselben ausser Zweifel stellten, so findet man doch nicht, dass nach Schütz irgend einer der preussischen Geschichtsschreiber des 17. Jahrh. von ihr Gebrauch gemacht hätte; Christoph Hartknoch bemühte sich am Ende desselben vergeblich sie in Preussen aufzufinden (dessen Altes und Neues Preussen, Leipzig 1684. Vorrede f. 5. v. [correct reference?]); sie scheint bald nach Schützens Tod verloren gegangen zu sein.
    Die bei Schütz über sie niedergelegten Nachrichten erhielten erst in unserm Jahrh. eine fruchtreiche Anwendung, als im Sommer 1821 der damalige Referendarius, später als Provinzialschulrath in Posen 1854 14. Juli verstorbene, Dr. Lucas, im ehemaligen Bernhardinerkloster zu Thorn einen zufällig dorthin gekommenen, jedenfalls schon 1723 der Ratsbibliolhek von Thron zugehörigen1 handschriftlichen Sammelband mit dem Bibliothekszeichen B. 28 entdeckte und demnächst der königl. Archiv-Bibliothek in Königsberg, wo er jetzt die Bezeichnung A. 88. erhalten hat, einverleibte, unter dessen Papieren mannichfaltigen Inhalts er in einer Chronik, die den Titel »Cronica nova prutenica« führt, eine lateinische Uebersetzung der Reimchronik jenes Wigand erkannte und sie als solche 1824 in einem in den Beiträgen zur Kunde Preussens Band 6. p. 465 ff. abgedruckten Berichte aufs Ueberzeugendste nachwies. In Folge eingehenderer und häufigerer Benutzung derselben, zumal nachdem sie 1842 von Jobannes Voigt und dem Grafen Eduard Raczyński2 nebst einer gegenüberstehenden polnischen Uebersetzung durch den Druck eine allgemeinere Verbreitung gefunden hatte, gelangte der Werth der Entdeckung zu immer grösserer Anerkennung, da man in dem Werke nicht nur zum ersten Male eine zusammenhängende Darstellung der glänzendsten Periode des Ordensreiches durch einen Zeitgenossen empfing, sondern auch in demselben die Quelle erkannte, aus der neben andern Schriftstellern des 15. und 16. Jahrh. vornehmlich Schütz, auch da, wo er nicht ausdrücklich Wigand nennt, und der polnische Geschichtsschreiber Długosz ihre wichtigsten Notizen über die preuss. Geschichte des 14. Jahrh. geschöpft hatten. Um so schmerzlicher empfand man es jedoch, dass wegen der Mangelhaftigkeit der aufgefundenen Uebersetzung der ursprüngliche Inhalt der Chronik ungemein schwierig zu fassen war und mit der Fülle des Dargebotenen zahlreicher unklarer, der mannichfaltigsten Deutung fähiger Stoff der preussischen Geschichte zugeführt wurde, und man bemühete sich daher, der in der Uebersetzung vorliegenden sicheren Spur folgend, das Original oder wenigstens genauere Bearbeitungen desselben aufzufinden. Die hierauf gerichteten Bemühungen sind bis jetzt zwar nur von geringem, doch aber immer beachtenswerthem Erfolge begleitet gewesen, indem ausser einigen bisher unbekannten Fragmenten in ganz neuester Zeit ein kurzer, chronologisch geordneter Auszug des Originales von der Hand eines Zeitgenossen Schützens, des Geschichtschreibers Stenzel Bornbach, entdeckt worden ist. Da vorläufig die Auffindung des Originales ausser aller Wahrscheinlichkeit

        1) In Petri Jaenichii notitia bibliothecae Thorunii (im Gelehrten Preussen Thorun. 1723 T. II. p. 222 ff. [Correct reference?]) wird ein Inhaltsverzeichniss dieser Handschrift unter n. XXI mitgetheilt. Jaenich fügt am Schluss hinzu: Venit Codex a familia Strobandiana, Schottendorffis haerede, uti in frontispicio libri apparet. Eine sichtliche ausradirte Stelle auf der innern Seite des Einbandes an unserer Handschrift scheint eine solche Notiz enthalten zu haben.
        2) Chronica seu Annales Wigandi Marburgensis equitis et fratris ordinis Teutonici. Primuni ediderunt Joannes Voigt et Eduardus Comes Raczyński Posnaniae 1842. Puścizna po Janie Długoszu dziejopisie polskim, to jest: Kronika Wiganda z Marburga rycerza i kaplana zakonu krzyżackiego na wezwanie Długosza z rymowanej kroniki niemieckiej na język laciński przetłomaczona. Na polski język przęlożył ją, Edward Hr. Raczyński. Wydania Jana Voigta i Edwarda Hr. Raczyńskiego. Puznań w księgarui nowei 1842. 4o.

liegt, und die vorhandenen Fragmente zu unbedeutend sind, um daraus allein eine genügende Einsicht von dem Verfasser und seinem Werke zu gewinnen, so konnten die Herausgeber der preussischen Geschichtsquellen die schwierige Aufgabe nicht von sich weisen, durch eine Zusammenstellung und Sichtung der in der Uebersetzung und in den Bearbeitungen vorgefundenen Ueberreste jener Reimchronik mit Hinzunahme der Fragmente eine Restauration des verloren gegangenen Werkes wenigstens seinem Inhalte nach zu versuchen. Für diesen Zweck waren vor allem die Beschaffenheit und der Werth dieser Ueberreste selbst in Betracht zu ziehen.

II.

    Um von dem weniger Bedeutenden zu dem Werthvollern vorzuschreiten untersuchen wir 1) die Ueberreste Wigand'scher Berichte in Długosz's polnischer Geschichte; 2) Bornbachs Auszüge: 3) Schützens preussische Chronik: 4) die lateinische Uebersetzung des »Sünders aus Geismar;« 5) die Fragmente der Reimchronik. Absichtlich schweige ich von den Spuren unserer Chronik in derjenigen Simon Grunau's. Denn an den wenigen Stellen, wo Grunau sie benutzt,1 hat er seine Quelle durch Beimischung von Fremdartigem so sehr entstellt, dass man Mühe hat, sie auch nur wiederzuerkennen.
    1. Długosz. In seinem umfangreichen, zwischen c. 1460 — 1480 abgefassten Geschichtswerke, welche den Chronisten des 16., 17. und 18. Jahrh., insbesondre den polnischen, als eine der wichtigsten Auctoritäten galt, hat der Domherr von Krakau und Wislica für die Geschichte des D. Ordens und namentlich seiner Kämpfe mit Littauen vorherrschend die Angaben Wigands benutzt,2 und zwar für die Zeit von 1339 bis 1378, bis auf eine Notiz (IX. 1075) aus einer mir unbekannten Quelle und zwei aus dem Chronicon Olivense entnommenen Berichten (IX. 1070 und 1090), ausschliesslich und für die Zeit von 1389 bis 1394, für welche er hie und da Johann v. Posilge, ganz besonders aber die polnisch-littauische Tradition zu Hülfe genommen hat, häufig und meistens so, dass die aus Wigand entlehnten Nachrichten ohne fremde Beimischung ihrem Hauptinhalte nach mitgetheilt werden. Für diesen Zweck hat Długosz nachweislich nicht nur die uns vorliegende lateinische Uebersetzung, die ausdrücklich auf seinen Wunsch angefertigt ist, sondern auch das deutsche Original benutzt. Dass er an vielen, vielleicht an den meisten Stellen nur die Uebersetzung vor sich gehabt hat, tritt klar zu Tage. Man vergleiche nur seine Schilderung der Winterreise 1336 gegen Trappen, die vollständig dem Cap. 20 der Uebersetzung entnommen ist, mit den bei Schütz aufbehaltenen Berichten der Reimchronik. Daseelbe erkennt man, wenn er aus Cap. 94 der Uebersetzung den falschen Ortsnamen Demrin statt Burg Rhein aufnimmt, oder nach Cap. 73 die Zahl der Verbrannten auf 109 angiebt, während Schütz im Originale 900 genannt fand, oder nach Cap. 44 500 Gefangene, wo Schütz 1500 las.3 Dagegen zeugt von einer Benutzung des Originales der auffällige Irrthum in der Darstellung des vom Uebersetzer Cap. 53 mit richtigem Verständuiss der Sache mitgetheilten Kampfes

        1) Töppen hat in seiner Gesch. der Preuss. Historiographie p. 131 die 8 hierher gehörigen Stellen aufgezählt.
        2) Es finden sich im Dłgosz aus Wigand aufgenommen die Capitel 20, 25, 26, 28, 32, 37, 38, 40, 42—49, 51—57, 59—64, 67—77, 79—90, 92—95, 97—103, 133, 134, 138, 150— 152, 154—162 und 183; überdies einzelne Notizen aus c. 13, 16 und 17.
        3) Vgl. auch c. 13. in die s. Johannis.

in Johannisburg und dessen »Danziger« (priveta), während Długosz aus dem Gdanczk des Originales eine Eroberung von Danzig herauslas. In gleicher Weise enthalten die den Abschnitten C. 52, 54 und 61 der Uebersetzung entsprechenden Mittheilungen Długosz's Aenderungen, deren Ursprung füglich nur aus einer Einsicht in das Original abzuleiten ist. Man ist demnach berechtigt in den Abweichungen seines Werkes von der lateinischen Uebersetzung Wigands sowie in seinen Zusätzen Spuren des Wigandischen Originales zu vermuthen. Diese Erwartung wird jedoch bei näherer Untersuchung nur in äusserst geringen Fallen befriedigt. Zunächst hat Długosz durchweg sich den Inhalt der Chronik auf eine ganz oberflächliche Weise angeeignet; in den meisten Fallen giebt er nur einen dürftigen Umriss des Ereignisses mit geringer Beachtung der örtlichen Verhältnisse, ja selbst mit Auslassung der wichtigsten historischen Namen.1 Demnächst ergeben sich zahlreiche scheinbare Abweichungen als blosse Fehler flüchtiger Auffassung. Dahin gehört, wenn er z. B. aus C. 48 einen Einfall in das Gebiet von Allenstein zu einem Einfalle in Preussen verallgemeinert, und wenn darauf der Uebersetzer den Ausdruck totam terram (nämlich das Gebiet von Alienstein) gebraucht, universam Prussiam hinsetzt, oder wenn er da, wo im Original (C. 85) der Ordensmarschall mit 4 Komthuren auszieht, die Worte: consurgunt omnes Commendatores gebraucht, oder aus multis preceptoribus (C. 99): omnes commendatores macht, oder wenn er den Schluss der Erzählung C 56, wo das Heer auf dem Rückwege aus Samaiten über die Memel setzt und längs dem [südlichen] Ufer derselben in die Heimath zurückkehrt, in einen Angriff »in Lithuanos trans fluvium Nyemen habitantes« umwandelt. In andern Fällen hat er um dem Ausdruck rhetorische Fülle zu geben, nichtssagende Zusätze gemacht,2 oder um einer Uebergangs-Phrase willen Ereignisse, die gar nicht zusammengehören, mit einander verbunden, so die Ereignisse von C 59 und 60, obgleich das letztere früher als das erste stattfand, oder die in C 68 und 69. Dazu kommen offenbare Unrichtigkeiten, die aus mangelhafter Kenntniss der Sache entspringen. Aus den Komthuren von Balga und Christburg (C. 154) macht er einen Commendator Balga de Cristborg. Dass die Nerge bei Wigand den Fluss Wilia bedeutet, ist ihm unbekannt, er übersetzt sie daher einmal (C. 62) mit Niemen und ein andres Mal (C. 100) mit Narew; der Ort Stramel (bei Rügenwalde in Pommern) wird, weil bald darauf von einem Zuge nach Grodno die Rede ist (C. 155), nach Littauen verlegt, aus Poloczk an der Düna (C. 101) ein oppidum Prutenicum Pacow, und gar aus Neuer-Mühlen (novum Molendinum C. 32) bei Riga die Neumark in Brandenburg gemacht. Eben diese Flüchtigkeit führt zuweilen zu einer vollständigen Entstellung der Thatsachen bis ins Unkenntliche. Die erwähnte Verwechselung des Liefländischen Ortes Neuer-Mühlen mit der Neumark bestimmt ihn den Hochmeister Ludolf König im Jahre 1342 (IX. 1065) darüber in Tiefsinn verfallen zu lassen, weil während seines Einfalles in die brandenburgische Neumark die Littauer Preussen verwüsten, worauf er jedoch 1343, wo er den Bericht aus dem Chronicon Olivense benutzt, jenen Hochmeister wiederum darüber tiefsinnig macht (IX. 1071), weil während seines Zuges nach Littauen die Littauer

        1) Man vgl. z. B. Wig. C. 40 mit Dług. IX. 1079; C 44 mit IX. 1097; C. 71 mil IX. 1154; C. 72 mit IX. 1155; C. 80 mit IX. 1168; C. 86 u. 87 mit X. 26 u. s. w.
        2) Man vgl. z. B. Wig. C. 45 mit Dł. IX. 1098; C 55 mit IX. 1134; C 84 mit X. 20; C 134 mit X. 20.

Preussen und Liesland verheeren. Er erzählt die Schlacht an der Strebe zweimal, einmal unter dem Jahre 1346 nach Wigand C. 38 (IX. 1079), wobei selbst der Name des Schlachtortes unerwähnt bleibt, und mit gleicher Oberflächlichkeit im Jahre 1349 (IX. 1090) nach dem Chronicon Olivense (I. 724), ohne zu merken, dass das letztere die Quelle Wigands ist. Am Schlimmsten ergeht es den Berichten Wigands, wenn es sich um Dinge handelt, an denen Długosz's nationale Eitelkeit betheiligt ist. Zwar giebt ihm Wigand selten dazu Anlass, da der polnische Chronist in den Abschnitten des 14. Jahrh., die von Polen handeln, namentlich in den Zeiten von 1308 bis 1343 die bedeutendern Quellen, die ihm in Urkunden, in den Zeugenverhören von 1339 und 1421 und in den alten polnischen Annalen dafür zu Gebote standen, sich für seine Zwecke zurechtlegte; jedoch bei dem Berichte über die Belagerung Wilnas durch den D. O. im Jahre 1390 (Wig. C. 150), bei der Wigand auch der Polen gedenkt, fand er Gelegenheit auch an diesem Schriftsteller sein Talent, fremde Nachrichten seinen Zwecken dienstbar zu machen, auf eine glänzende Weise an den Tag zu legen. Es werden zunächst zwei von Wigand unmittelbar nach einander erzählte Littauer-Reisen (C. 150 und 151), deren eine in den August 1390, und die andre in den August 1391 fällt, was freilich Wigand nicht bemerkt, zu einer einzigen umgeformt, und diese Reise, zu deren Führer Długosz gegen das Zeugniss Wigand's und Johanns von Posilge den erst seit Mitte 1390 regierenden Hochmeister Conrad v. Wallenrod macht, in das Jahr 1389 zurückverlegt. Mit gleicher Unbefangenheit werden die vornehmen Gäste der Jahre 1390 und 1391, Herzog Heinrich von Lancaster und Markgraf Friedrich von Meissen, als Theilnehmer desselben Zuges dargestellt. Für die Verherrlichung der Polen, welche Wilna vertheidigen, genügen ihm jedoch weder der Inhalt jener beiden Abschnitte, noch die in den polnischen Processakten vom Jahre 1415 niedergelegten Zeugnisse; er erborgt sich daher mehrere zweckdienliche Thatsachen aus Wigands Schilderung einer Belagerung Wilna's im Jahre 1394 (C. 163). Hier wird unter Anderm erzählt, dass die französischen Ritter im Ordensheere die Polen, welche auf Seiten der Heiden kämpften, zum Zweikampfe herausfordern wollten, der Hochmeister aber ihnen dies untersagt habe, wobei der Ordens- Marschall den Franzosen erklärte, es könne Niemand zur Ehre gereichen mit Leuten zu kämpfen, welche Feinde des christlichen Glaubens seien. Długosz weiss dagegen, dass die Polen 1389 die Herausforderung der Franzosen annahmen und zwar in der Weise, dass je vier Ritter aus beiden Nationen in Prag am Hofe König Wenzels an einem bestimmten Tage mit einander kämpfen sollten. Er nennt die vier Polen bei Namen, die Franzosen aber nicht; die acht Ritter stehen auch schon im Thiergarten in Prag kampfbereit einander gegenüber; da gelingt es dem Herzoge Johann von Luxemburg und dem Markgrafen Jodocus von Mähren die Tapfern mit einander auszusöhnen, worauf diese als Freunde neben einander an der Tafel König Wenzels schmausen. Eine so leichtfertige Behandlung des historischen Stoffes kann wohl nur das gerechteste Misstrauen auch gegen diejenigen Abweichungen und Zusätze Długosz's erwecken, bei welchen so bestimmte Verdachtsgründe nicht vorliegen; es war daher nur an sehr wenigen Stellen möglich, aus denselben einen reellen Nutzen für die Wiederherstellung der Chronik Wigands zu ziehen.1

        1) Vgl. unten Wig. C. 43, 53, 54, 61, 73, 90, 97, 99 und 103. Script, r. F. II.

    2. Bornbachs Auszug. Erst vor etwa zwei Jahren gelangten wir in den Besitz einer Papierhandschrift in Quart von 54 Seiten, ohne Titel, deren 42 erste Seiten eine annalistisch geordnete Uebersicht der preussischen Geschichte von 1290 bis 1394 enthalten, welche, wie die aus zahllosen Arbeiten dieser Art bekannte Handschrift beweist, von dem (1597 27. März verstorbenen) danziger Geschichtsschreiber Stenzel Bornbach1 abgefasst und nichts anderes als ein, nicht etwa nach der lateinischen Uebersetzung,2 sondern unmittelbar nach dem Originale, welches Bornbach nach einer in einem andern seiner Werke gemachten Bemerkung3 genau kannte, angefertigter Auszug der Wigandischen Reimchronik ist. Auch diese Arbeit ist sehr mangelhaft und bestätigt nur die auch an andern Arbeiten Bornbachs gemachte Wahrnehmung, dass er bei allem Fleisse im Abschreiben, Zusammentragen und Compiliren historischen Stoffes zur selbstständigen Benutzung desselben sehr wenig befähigt war. Auch bei Wigand wendete er der offenkundig schwächsten Seite der Reimchronik, ihren chronologischen Notizen, vorzugsweise seine Aufmerksamkeit zu und nimmt an ihren auffälligsten Irrthümern keinen Anstoss, wie er denn z. B. gläubig berichtet, dass Carl von Trier 1293 Hochmeister geworden und Kaiser Heinrich VII. (nach Wig. C. 2.) 1319 vergiftet worden sei. Ebendiese vorherrschende Rücksicht auf die Chronologie bestimmt ihn andererseits, die werthvollen Detailschilderungen der Reimchronik ganz unbeachtet zu lassen und nur einzelne Momente ohne strenge Auswahl aus den längern Berichten in kurzen dürren Umrissen herauszuheben. Dazu kommt, dass Bornbach trotz der zahllosen Urkunden, die er gelesen und abgeschrieben hatte, in der Sprache der Chronik sich nicht zurechtzufinden wusste und in der Entzifferung der Namen so wie in der Auffassung des Sinnes (z. B. in Cap. 97 oder am Schluss von Cap. 10) arge Irrthümer sich zu Schulden kommen lässt. Nicht minder schwächt es den Werth seiner Arbeit, dass er sichtlich an einzelnen Stellen zu den Berichten Wigands Notizen aus spätern Chroniken hinzugefügt4, ja einige wenige Male eigenmächtig den Bericht Wigands nach andern Quellen geändert5 hat. Trotz dieser Mängel leistet dieses Excerpt dennoch schätzbare Dienste theils für die Ermittelung des Verhältnisses der lateinischen Uebersetzung zum Originale, theils zur Texteskritik ebenjener Uebersetzung, theils aber auch, wiewohl nur selten, zur Ergänzung einzelner in der Uebersetzung lückenhaft erzählter That- sachen. Bemerkenswerth ist endlich, dass Bornbach die letzten Abschnitte der Reimchronik vom Begierungsantritte Conrad's von Jungirigen (C. 159) ab nicht gekannt zu haben scheint, da er ausdrücklich bemerkt, dass sie mit 1393 abgeschlossen

        1) Vgl. Hirsch u. Vossberg Caspar Weinreichs Danziger Chronik. Danzig 1855. p. XXVI und meine Handelsgeschichte Danzig's. Leipzig 1858. S. 71.
        2) Das erkennt man schon an den häufigen kleinen Zusätzen in Namen und Thatsachen, die in der Uebersetzung nicht stehen, z. B. C. 2 die Fahne der Holländer, C. 7 die Eroberung von Plock, C. 8 die Erwähnung Memel's, wo der Uebersetzer nur von einem Castrum spricht.
        3) Vgl. unten III.
        4) Es sind folgende: zu 1329 die Gefangennahme Gedimins und dessen Tod im Kerker, wohl eine Verwechselung mit den Schicksalen Kynstuts; zu 1367 der Raub des Schatzes in Marienburg; zu 1380 die Ankunft der Karthäuser in Preussen; zu 1381 der Tod Algards; zu 1382 der Bau der Klöster von Conitz und Heiligenbeil; zu 1394 die Characterschilderung Conrads v. Jungingen.
        5) So füllt er z. B. die Jahre 1295 und 1309 mit Notizen, die seiner eigenen Chronik (Danziger Archiv-Bibliothek fol. L. I. 22) wörtlich entlehnt sind. Ueber Conrad von Wallenrod (zu C. 157) wird das Urtheil der preussischen Stadtchroniken hinzugesetzt und über Conrad von Jungingen im Sinne der älteren Hochmeisterchronik berichtet. Auch das wunderliche Urtheil über Werner von Orseln (zu C. 16) kann schwerlich aus Wigand genommen sein.

habe, und die in seinem Auszüge dem Jahre 1394 beigefügte Notiz erweislich aus einer andern Quelle entlehnt ist.
    3. Caspar Schütz. Schütz ist der erste preussische Geschichtsschreiber, der an seine Gewährsmänner einen kritischen Maassstab anlegte, der ferner, von den ärmlichen preussischen Chronisten des 16. Jahrhunderts angewidert, vorzugsweise theils die Geschichtsschreiber der Nachbarländer zu Rathe zog, theils auf die älteren preussischen Quellen zurückging. Dabei zeigt sich jedoch eine Kritik noch auf der Stufe der Kindheit, insofern er sich weniger um die Ursprünglichkeit und Gleichzeitigkeit seiner Quelle, als um ihren Parteistandpunkt kümmert, und dabei in seinem Urtheile sich stark von den diplomatischen Rücksichten der Stadt, welcher er diente, leiten liess. Seiner Geschichte des 14. Jahrhunderts von der Zeit ab, wo Dusburg und Jeroschin aufhören, hat er hauptsächlich die polnischen Geschichtsschreiber, und zwar nicht Długosz selbst (obgleich er ihn Bl. 2. nennt), wohl aber die von Długosz ganz abhängigen Chroniken des Matthias Mechovita und Martin Cromer aus dem 16. Jahrh. zu Grunde gelegt, und sie nur zeitweise ganz, und theilweise an solchen Stellen, wo ihre Mittheilungen ihm zu dürftig erschienen, zur Seite gelassen, um der voller fliessenden Quelle unserer Reimchronik sich anzuschliessen. In dieses Verhältniss Schützens zu seinen Quellen gewinnt man einen interessanten Einblick, wenn man zu den gedruckten Ausgaben seines Werkes die Bemerkungen und Aenderungen in Betracht zieht, welche sich in seinem im danziger Archive (Bibl. fol. N. n. 5—13) in 9 Bänden niedergelegten Autographon, dem Brouillon seiner Arbeit, vorfinden. Man erkennt deutlich, wie eifrig er anfangs namentlich für die Zeit von 1330 bis 1378 der preussischen Quelle nachging; er spottet wohl am Rande des Buches über die polnischen Scribenten: »hic«, bemerkt er zu den Ereignissen im Culmer Lande 1330 (Wig. 13) »Cromerus bellissimum agit silentium«; doch greift er bald auch wieder nach ihnen, insbesondere, wenn ihm die littauischen Namen in der Reimchronik fremdartig vorkommen, wo er dann über die durchstrichenen Namen Wigands die seiner polnischen Quellen überschreibt. Eine Zeit lang benutzt er Wigand vorherrschend und in so eingehender Weise, dass in manchen Abschnitten der Bericht der Quelle (z. B. C 13. 23. und 24.) nicht vollständiger gewesen sein kann. Zuletzt ermüden ihn jedoch die vielen resultatlosen Reisen nach Littauen und er unterbricht sie zum Jahre 1378 mit der durchaus richtigen Bemerkung: »Solcher ausfelle vnd streiffereien seint auch ferners in den nechsten Jaren zu vnterschiedlichen zeiten geschehen, welche alle nach der lenge zu beschreiben viel zu lang vnd auch dorumb verdrieslich zu lesen vnd zu hören sein wolte, das fast immer einerlei ding aufs new widderholet wurde. Derwegen es dieses ortes bequemer, solch offt widderte Einfelle nurt kurtzlich zu vermelden, domitt allein so viel do mehr richtikeit in den Jarzalen bleibe.« Darauf hat er noch bis zum Jahre 1383 (Wig. C. 102) hie und da einzelne Notizen aus ihm entlehnt, von 1383 ab aber ausschliesslich die polnischen Quellen benutzt. Dass letztere gleichfalls ihre meisten Nachrichten derselben Reimchronik verdanken, kommt ihm nie in den Sinn; vielmehr sieht er in unwesentlichen Abweichungen derselben wesentliche Differenzen, z. B. wenn sie in der Schlacht an der Strebe 22000 Todte, Wigand aber (C. 38) 18000 zählt, welche Differenz ersichtlich nur in einem Druckfehler bei den ersten (duo et viginti statt duodeviginti) ihren Grund hat, und er bemüht sich, wo ihm solche Differenzen aufstossen, die Richtigkeit der polnischen Ueberlieferung durch kühne Umdeutung der preussischen Quelle zu retten. So rechtfertigt er namentlich die zweimalige Erwähnung der Schlacht an der Strebe bei Długosz in den Jahren 1346 und 1349, wovon schon oben die Rede war, damit, dass er auch im Wigand zwei demselben entsprechende Ereignisse heraussucht, bei welchem künstlichen Verfahren der littauische Fluss die Strebe sich gefallen lassen muss in die Nähe von Labiau verlegt zu werden (vgl. unten C. 38). Noch auffallender erscheint diese Vorliebe für die Polen, wenn er Angesichts der Mittheilungen Wigands an dem Romane Długosz's von der Belagerung Wilnas im Jahre 1389 nicht den mindesten Anstoss nimmt. Da jedoch Schütz für das 14. Jahrh. ausser einigen wenigen Stücken aus Simon Grunau, die aber schon im Autographon als selbständige Einlagen sich kund geben, nur diese zwei Quellen kennt, von denen die polnische ihre Eigentümlichkeit nirgends verleugnet, und er im Uebrigen sichtlich nur selten, etwa aus stylistischen Gründen bei Verknüpfung zweier Ereignisse, von der Auffassung Wigands abweicht, so ist es hier nicht schwer, die der Reimchronik entlehnten Theile als selbständige Abschnitte aus dem Werke auszuscheiden.
    4. Die lateinische Uebersetzung. Den Verfasser derselben lernt man zunächst aus dem ganzen Sammelbande einer Papierhandschrift von Bl. 323 bis Bl. 503 von dem Schreiber paginirten Blättern, von dem diese Uebersetzung nur einen kleinen Bestandtheil ausmacht, als einen Gelehrten und Freund historischer Studien kennen. Während nämlich das erste Drittheil desselben (Bl. 1—134) aus neun Abhandlungen1 über die Beziehungen der Astronomie zur Theologie und Geschichte besteht, welche 1414—1417 abgefasst den Cardinal Peter von Ailly zum Verfasser haben, und von einer ältern Hand geschrieben sind, denen unser Uebersetzer theils rothe Ueberschriften, theils kurze Angaben des Inhaltes neben und unter dem Texte hinzufügte, enthält das zweite Drittheil (Bl. 134—303) von der Hand des letztern die Abschriften oder Uebersetzungen von sechs andern Werken, zunächst zweier Abhandlungen desselben Cardinals,2 sodann (Bl. 141—229) unter dem Titel Flores temporum, der bis zum Anfange des 15. Jahrhunderts fortgesetzten Weltchronik des Martin von Troppau; ihr folgt (Bl. 230—277) eine Uebersetzung der Chronik Jeroschin's ins Lateinische (oben I. S. 11 und 302) unter dem Namen einer Cronica vetus extracta e Cronica Cruciferorum ordinis teutonicorum prima per Nicol.

        1) 1. De concordia Astronomie et Theologie (Bl. 1—21) edit, a D. Petro Ailliaco Cardinali Camaracensi et in civitate Tullensi completus ultima Marcii 1414. 2. De conjunctionibus Saturni et Jovis Bl. 22—26. 3. Anni revolucionum Saturni et Jovis Bl. 26—28. 4. de concordia Astronomice veritatis et narracionis hystorie Bl. 28—64. Schluss: explicit traetatus . . . ab eodem Dno Cameracenn editus Basilee 10 Madij anni 1414. Angeschlossen sind: 5. ohne besonderen Titel 10 figürlich dargestellte Constellationen historischer Ereignisse und andere astronomische Tafeln nebst deren Erklärung Bl. 64—76. 6. Elucidarius astronomice concordie cum theologica et hystorica veritate Bl. 78—110. Schluss: editus per dictum dominum Cameracensem Cardinalem et finitus Colonie Anno domi nostri ihessu xi 1414 die 24 mensis Septembris. 7. Apologetica defensio de nativitate ihesu cristi. Bl. 110—115. Schluss: Explicit apologetica deffensio edita a dno Cameracen Colonie anno xpi 1414 die 26 Seplembr. 8. Secunda apologetica defensio astronomice veritatis. Bl. 115—119. Schluss: Explicit secunda . . . edita a domino Cameracen Colonie a. xpi. 1414 die vero tercia mensis Octobris. 9. De concordia discordancium astronomorum super significacionibus triplicitatum signorum Zodiaci et applicationibus earum ad partes terre. Bl. 119—133. Schluss: Explicit tractatus .. recollectus a domio Petro Cardinali Cameracensi finitus Constancie anno domi 1417o in vigilia Epiphanie domini.
        2) Von der in der vorigen Anmerkung unter num. 4. verzeichneten Schrift und einem Anhange: Tractatus sequens est compendium materie predicte.

Jeroschyn, sodann (Bl. 277—278) die oben I. S. 806—808 mitgetheilte, wahrscheinlich auch übersetzte Schrift: Terra Pomeranie quomodo subjecta est ordini fratrum Theutonicorum und zuletzt unsre Chronik (Bl. 279—303) unter dem Titel einer Cronica nova Prutenica. In dem letzten Drittheil hat derselbe Uebersetzer eine Biographie: de sancto Stanislao abgeschrieben, deren Verfasser, ein Dominicaner Vincentius, seine Arbeit im Auftrage des Bischofs Prandotha von Krakau und seines Capitels um 1350 abfasste. Den Schluss bilden auch von des Uebersetzers Hand alte polnische Annalen, die gleichfalls aus der Diöcese Krakau hervorgegangen zu sein scheinen und vom Jahre 899 bis zur Wahl des Bischofs Prandotha 1350 hinabreichen. (Vgl. oben I. 763. n. VIII).
    In diesen Arbeiten finden sich nun auch hie und da Bemerkungen über die persönlichen Verhältnisse des Uebersetzers. Bei Erwähnung des deutschen Apostels Bonifacius (in den Flores temporum BI. 204 a) merkt er an, er sei in dem Orte Geismar geboren, wo Bonifacius die Donnereiche niederhieb, und knüpft daran eine wenig sich empfehlende etymologische Deutung des Namens seines Geburtsortes.1 Ferner giebt er am Schlüsse seiner ersten Abschrift (Bl. 149) die Notiz, er habe sie 1464 in einer sehr unruhigen Zeit angefertigt, als noch die Bewohner Preussens und der König Kasimir mit den Kreuzherren im elften Jahre Krieg führten, Seuchen und Ueberschwemmung Schlesien und andere Länder heimsuchten und ein allgemeiner Kreuzzug gegen die Türken stattfand;2 in demselben Jahre 1464 hat er nach eigener Erklärung (Wig. C. 165) auch den Wigand übersetzt und die Weltchronik abgeschrieben. Wenn er sich ferner an drei Orten als einen Peccator bezeichnet, darunter einmal mit dem Zusatze negligens peccator (Bl. 277), einmal sogar mit Andeutung der Anfangsbuchstaben seines Namens3 C. G. [etwa Conradum oder Carolum Geismarensem?], so lässt dieser Ausdruck der Demuth nach der Gewohnheit dieser Jahrhunderte auf einen Geistlichen schliessen.4 An zwei andern Stellen sagt er ferner aus, dass er die Uebersetzung der »alten« und der »neuen« preussischen Chronik auf dringende Bitten des Dr. Johann Długosz, dessen »Freund und besonders ergebener Diener« er sei, mit mancherlei Abkürzungen angefertigt habe.5 Von Długosz's Hand wahrscheinlich stammt dann auch eine Anzahl historischer Bemerkungen, welche jedenfalls von einein polnischen Geistlichen des 15. Jahrhunderts an den Band beider

        1) Hic Bonifacius in Geysmaria, unde ego ortussum, spiritum quendam de quercu una expulit, cui nomen Mars, et in loco, ubi quercus stetit, capellam et altare edificat, populum convertit; et nomen opidum a spiritu recepit, vulgariter dictum Geismaria Teutonico, scilicet: geyst mars.
        2) Transcriptus Thorn anno 1464, quo tempore adhuc durabant discordie inter cruciferos et regem Kazimirum et terrigenas Prussie iam in anno xj dissidiorum; pestilentia quoque gravis fuit eodem tempore hinc inde in quibusdam locis valde excedens, diluvium eciam . . . fuit in Silesia et circa Mimila (?) etc.; et fuit passagium generale contra Thurcos etc.
        3) Am Schluss der Flores temporum Bl. 229 setzt er zu dem Namen des Papstes Pius II.
die Worte: tempore ejus hec scripta sunt per C. G. peccatorem ao 1464.
        4) So unterschreibt sich Abt Wilhelm von Metz peccator in einem Briefe an Papst Gregor VII. (Mabillon Veterum analectorum T. I. p. 247) und an einen andern Abt (Ibid. p. 260); in gleicher Weise Almannus Monachus Altivillarensis in einem Schreiben an den Praepositus Catalaunensis. (Ibid. II. p. 86).
        5) Vgl. Wig. C. 1. Am Schlusse der lateinischen Uebersetzung Jeroschins Bl. 277 b. heisst es: Et sic est finis cronice terre Prussie de latino in teutonicum transsumpte et communiter est accurtata et corrupta, denuo in latinum reducta per quendam peccatorem negligentem deo laus; ad instanciam ejusdem venerabilis viri, cujus instantiis sequens cronica per eundem est similiter in latinum transmutata taliter qualiter multaque in principio hujus causa brevitatis sunt dimissa.

Chroniken geschrieben sind, und in welchen dem D. O. unter anderm Hass gegen den geistlichen Stand, ungerechte Beurtheilung des Herzogs Swantopolk und unrichtige Auffassung der eigenen Ansprüche auf Ostpommern vorgeworfen, einmal selbst auf die Vertheidigungsschrift des Sachwalters Paulus de Castro, der die Sache der Polen gegen den D. O. auf dem Concile zu Costnitz 1415 vertheidigte, hingewiesen wird.1 Alle diese Einzelnheiten machen es wahrscheinlich,

        1) Die Randbemerkungen dieser Hand, von der unten eine Schriftprobe gegeben ist, sind folgende: 1. f. 231. a. (zu Dusb. I. 5 Schenkung des Culmer Landes): Contrarium omnino illius habetur in dotatione ecclesie Culmensis, ubi sub patentibus literis terra Culmensis donatur Cristanno episcopo Culmensi et eius ecclesie; que donacio facta est anno domini 1222 in presencia multo plurium et maiorum testium, quam hic. Similiter terra media Lubavie donata et ecclesie Culmensi a duce Kazimiro Lancicie et Cuyavie domino. Que donacio facta est anno MCCLVII in die beate Eufemie in multorum presencia testium. Vide de hoc privilegia ecclesie Culmensis, licet eciam extant litere domini Gregorii IX, qui confirmat donacionem ducis Masovie, qua donavit eis castrum Culmen cum omnibus pertinenciis. Que litere date sunt Anagnie anno pontificatus sui quarto. Et eciam litere sunt domini Innocencii quarti, quibus investit magistrum Prusie anulo suo super terra Culmensi et omnibus terris, quas in Prusia de manibus paganorum eriperent. Que sunt date Anagnie anno eius primo. — 2. f. 234. a. (zu Dusb. III. 5. Begräbniss der Preussen): Istam abusionem cum aliis repperit in eis iam conversis Jacobus archidyaconus Leodiensis, postea papa Urbanus IIII, de quo infra mentio fit. Qui fuit legatus missus ad Prussiam anno 1249. 3. Ibid. (Kauf der Frauen): De hac abusione similiter fit mentio in literis Jacobi legati, de quo supra. 4. f. 234. b. (zu Dusb. III. 8. Bau von Culm): De edificacione castri Culmensis etc. vide privilegium dotationis ecclesie Culmensis, quia non apparet, quod ipsi edificarunt castrum predictum. 5. f. 237. a. (Dusb. III. 32. Swantopolk's Verrath): De isto Swantopolco non facile est credere in tantam prolapsum perfidiam, qui fuit catolicus optimus, multa donavit ecclesiis, monasteria instituit Olivam, Polplyn, Sernewitcz et Sucko; ergo melius est de hoc inquirendum. 6. Ibid. (Dusb. III. 33. Wilhelm v. Modena): Iste Wilhelmus divisit in Prusia ecclesias et instituit ecclesias cathedrales tres precipue, Pomezaniensem, Warmiensem et Sambiensem, et distinxit terminos earum cum dotationibus. Vide privilegia ecclesie Warmiensis. De quibus ecclesiis et eorum possessionibus et libertatibus nulla fit in hac hystoria mentio, quia parum ecclesiis favebant. — 7. f. 239. b. (Dusb. III. 45. Swantop. fällt in Cujavien ein): Non est verisimile, quod Swantopolk sic invasit terram ducis Kazimiri christiani, qui eius extitit consanguineus; ergo bene est de hoc videndum. — 8. f. 247. b. (Dusb. III. 97. Burg Rössel verbrannt): De hiis duobus castris loquitur hic, scilicet Heylsbergk et Resell, quum tarnen nunquam fuerint ordinis nec ab eis edificata, sed incepta per dominum de Heylsbergk, episcopum Warmiensem, et per dominum Hinricum Zorbom, similiter ibidem episcopum, consumata. — 9. f. 248. b. (Dusb. III. 110. Fischhausen belagert): Fyschawscn conf . . tur episcopi Sambiensis castrum, nullibi facta mentione aliqua de aliis ecclesiis aut earum possessionibus. — 10. Ibid. (Dusb. 111. 112. Bau von Lochstet): Lochstete fertur fuisse domini episcopi Sambiensis. — 11. f. 242. (Dusb. III. 140. Braunsberg. Armuth des Bischofs): Episcopus Warmiensis edificavit castrum et oppidum Braunsbergk. Ipsi crucifigeri vellent omnes prebendas adeo tenues facere, ut omnem clerum haberent sub suo jugo, ipsi vero de possessionibus ecclesiarum lascivirent. — 12. f. 259. b. (Dusb. III. 213. Wartislaw's Schenkung): Non videtur verisimile, quod tres filii Swantopolci renunciatis hereditatibus et terra fratribus darent jus terre illo tempore, cum longe protenus inveniuntur litere emanate a ducibus Pomeranie Primislao Va et Wladislao in multa libertate data civibus Elbingensibus de anno domini MCC 94 et 98. Videantur litere Elbingenses; et eciam ante hoc diu in donacione monasterii Olive facta anno MCCXXXV; videantur litere Olivenses. — 13. f. 260. a. (Dusb. III. 220. Behandlung der bekehrten Preussen): Contra istam prosecutioni favorabilem videantur litere concordatarum domini Jacobi archidyaconi Leodiensis legati in Prusiam missi, qui narrat neophitos gravi presso[s] a fratribus servitutis jugo; et plura de hoc in suis sigillatis literis. — 14. f. 262. b. (Dusb. III. 236. Bruhavens Keuschheits-Probe): Ista probatio castitatis non venit commendanda, quia cum periculi susceptione et tentatione dei. Qui enim exponit se periculo peccati mortalis, dicitur mortaliter peccare a doctoribus; juxta illud: »Qui amat periculum peribit in illo.« Eccl. IIIe. — 15. f. 264. b. (Dusb. III. 252. LM. Meinhard 1293): Hic videtur discrepare hec cronica cum sequenti in ejus primordio, pro ut ibi signaturam vides. — 16. Ibid. (Dusb. III. 258. Zerstorung von Wizna): Mirum, quomodo duces Mazovie, qui in antea christianos invitaverunt, quum vexabantur a paganis Prutenis, hic narrantur christianos impugnare; ideoque melius est inquirendum de hoc. — 17. f. 266. b. (Dusb. III. 275. Glottovie): Glottaw in episcopatu Ezinensi (Uebers. hat Einensem; Dusb. Warmiensem) vastatur. — 18. f. 271. b. (Dusb. III. 310. Bau des Nonnenklosters in Thorn): Fecerunt edificare, sed male dotaverunt, quia omnes spirituales volebant esse mendicos, se solos divites. — 19. Ibid. (Dusb. III. 314. Carl v. Trier): Karolus de Threveri eligitur, de quo post in primordio alterius cronice vide magnam diversitatem cronicarum presentium. — 20. f. 276. a. (Dusb. III. 360. Br. Friedrich v. Liebenzell vollendet den Bau von Wartenberg): Iste frater Fredericus forte fuit advocatus episcopi Warmiensis, alias in profectum ecclesie non tantum fecisset. — 21. f. 279. a. (Wig. c. 2. 1293): Hic videtur cronica presens dissidere a superiori versis XIII foliis circa numeri annorum domini signationem, prout patet conferenti ista ad illa et in magistro et in rebus gestis. — 22. Ibid. (Kaiser Heinrichs VII. Vergiftung): De intoxicatione istius Hinrici per fratrem predicatorem vide apud predicatores, qui habent de hoc bullam auream filii predicti domini Hinrici, ubi purgat eos de hac noxa. Vide de hoc in fasciculo temporum. [Er meint: Werner Rolewink, Karthäuser Priors in Westphalen, Fascic. temporum, gedruckt bei Pistorius Rerum Germanic. Scriptt. T. II. b. f. 84 [I am not quite sure if the referrence is correct].] — 23. f. 279. b. (Wig. c. 7. König von Polen fordert Pommern zurück): Rex postulavit terram Pomeranie etc., quod nunquam justo titulo illam domini cruciferi possiderunt. Verum pro ista terra Pomeranie et forte Culmensi etc. rex habuit pro se duas sententias delegatorum apostolicorum. Econtra magister et domini pro se duo lauda sive arbitria, unum duorum regum scilicet Bohemie et Ungarie, aliud regum Romanorum, que sumatim recitat Paulus de Castro in consiliis suis (vgl. unten Beilage III. B.) consilio LXXII, ubi omnino concludit multis juribus allegatis pro rege contra fratres. — 24. f. 284. b. (Wig. c. 36): Rastenburgk Lunenburgk vastantur. — 25. f. 289. a. (Wig. c. 58): Wartenbergk reedificatur. — 26. f. 297. a. (Wig. c. 116. Schluss): Jagel promittit se christianum fieri.

[image shown on the page between p.438 and p.439 is here omitted; consult google books. S.U.]

dass der Uebersetzer, ein Hesse aus Geismar, geistlichen Standes, der aus dem Abschreiben vielleicht ein Gewerbe machte, im Dienste der wegen der Friedensverhandlungen mit dem D. O. 1464 in Thorn verweilenden polnischen Diplomaten, zu denen nachweislich auch Długosz1 gehörte, dem letztern bei dessen mangelhafter Kenntniss der deutschen Sprache in seinen historischen und politischen Studien mit der Uebersetzung zweier deutschen Ordenschroniken zu Hülfe kam. Das Buch ist, wie es scheint, nie nach Polen gekommen, sondern in Thorn liegen2 geblieben, hier aber bis zu seiner Wiederauffindung nur von Wenigen gelesen worden.3
    Was nun in dieser Uebersetzung des Wigand zunächst die äussern Schriftzeichen betrifft, so ist die Handschrift wie bei den andern Arbeiten des Uebersetzers nach Ausweis der beigelegten Schriftprobe eine regelmässige und kunstmässig ausgeführte, jedoch durch sehr häufig gebrauchte Abbreviaturen ihr Verständniss ersehwert, wobei der Leser, auch wenn er durch ein genaues Studium des ganzen Sammelbandes das dabei befolgte System im grossen Ganzen erkannt hat, in einzelnen Fällen wegen des Mangels an Consequenz unsicher wird.4 Dazu steht diese Arbeit den übrigen Schriften des Uebersetzers darin nach, dass häufig Wörter und Sätze halb oder ganz ausgestrichen sind, in welchem Falle sie in der Regel mit einer rothen oder schwarzen Linie oder Linien beider Farben durchstrichen, bisweilen aber auch nur mit rother Farbe unterstrichen sind. Dieses Unterstreichen ist aber sehr häufig auch eine Andeutung, dass das Unterstrichene vom Schreiber als Erklärung oder besondere Bemerkung hinzugefügt ist; die verbesserten Worte stehen in der Regel am Rande mit einer Signatur, folgen aber auch zuweilen erst durch andre Worte unterbrochen mit einer solchen innerhalb des Textes. Sehr stark ist die rothe Farbe in Anwendung gebracht; ausser bei den Correcturen und selbstständigen

        1) Vgl. oben I. S. 665. not. 1.
        2) Am Ende der Flores temporum »hat eine spätere Hand aber auch noch im 15. Jahrh. zu den oben S. 437. not. 3 mitgetheilten Schlussworten des Abschreibers die Namen der Päpste: Paulus 2us und Sixtus IIIItus und bei lelztenn noch die Bemerkung hinzugefügt:« sub quo dominus Nicolaus Tungen intercepit episcopatum Warmiensem sine consensu regio.«
Und darunter eine andere gleichzeitige Hand: »sub quo multa mala in Prussia sunt subsequuta; primo ille idem Tungen episcopus magisterque ordinis teut, irhtani cum toto suo ordine in proteccionem regis Ungarie [se] subdiderunt, regem deinceps Polonie amplius dominum eorum et protectorem minime recognoscentes.
        3) Es finden sich in der Handschrift des 16. Jahrhunderts nur an wenigen Stellen Namen von Hochmeistern an dem Rande von einer Hand beigeschrieben.
        4) So bedeutet die Abbreviatur für sed (sz) bisweilen auch scilicet, und das in der Regel für ein ausgelassenes a gebrauchte Zeichen fehlt stets in dem Worte peccator.

Zusätzen, namentlich Inhaltsangaben und Ueberschriften bedient sich ihrer der Uebersetzer regelmässig zur Hervorhebung der schon schwarz gezeichneten ersten Buchstaben am Anfange jedes Absatzes, dann aber auch ohne ein ersichtliches Princip am Anfange vieler andern Wörter und endlich auch als einer Art von Interpunctionszeichen zwischen den Wörtern, wobei jedoch mehr der Zufall als Ueberlegung vorwaltet; ein besonderes rothes Zeichen deutet den Anfang einer neuen Erzählung an. Hie und da ist die Schrift durch breite leergelassene Räume unterbrochen, die der Uebersetzer sichtlich durch Ueberschriften ausfüllen wollte. Diese Art der Ausfüllung hat auch am Anfange an mehreren Orten stattgefunden, wiewohl nicht immer in glücklicher Weise, da sie meistens nur auf den ersten nachfolgenden Satz Rücksicht nimmt. So folgt z. B. auf die Ueberschrift »de eclipsi solis« (Wig. C. 14) ein Abschnitt, der ausser der Sonnenfinsterniss von drei Kriegsreisen erzählt. Diese Ueberschriften werden jedoch schon nach den ersten zwei Blättern immer seltener und fehlen von Bl. 287 ab ganz und gar. Mit ebenso geringer Consoquenz hat der Schreiber zuweilen mit der Andeutung: »nota« einzelne besonders wichtige Ereignisse in kurzem Auszuge neben oder unter dem Texte angemerkt. Schon in diesen Aeusserlichkeiten giebt sich überall eine gewisse Flüchtigkeit und Nachlässigkeit zu erkennen.
    Noch geringeres Vertrauen erweckt bei der ersten Bekanntschaft, die man mit dem Werke macht, der Inhalt. Schon der Uebersetzer selbst erhebt gegen seine Arbeit schwere Anklage. Nicht ohne Bezug auf seine literarischen Arbeiten nennt er sich einen nachlässigen Sünder und in Betreff Wigands bezeugt er, dass er gleich auf den ersten Anblick des Gedichtes sich an die Uebersetzung gemacht und dieselbe binnen 22 Tagen vollendet habe (Wig. C. 165); er nennt seine Sprache ein rohes Latein, spricht wiederholt von starker Abkürzung des Originales, das ihm zu wortreich erschienen sei (Wig. C. 14), und entschuldigt seine Mängel mit der unvollkommenen Beschaffenheit eben dieses Originales und der »Seltenheit,« d. h. wohl dem für ihn schwierigen Verständniss der darin gebrauchten Wörter. Diese seine Mängel treten allerdings auch überall zu Tage, zunächst im Gebrauche der lateinischen Sprache. Die Arbeit strotzt von groben grammatischen Fehlern in der Declination und Conjugation, so wie in der Anwendung der Genusregeln, Fehlern, die um so mehr als Folgen der Eile und Flüchtigkeit zu betrachten sind, da sie in seinen andern selbständigen Arbeiten weit seltener vorkommen. Fast noch wunderlicher ist seine Satzbildung, die sich zuweilen über alle Sprachvergehen kühn hinwegsetzt und in gewissen Fehlern eine Art von Consequenz beobachtet, insofern nämlich mit besonderer Vorliebe das regierende Verbum des Hauptsatzes durch das Participium ausgedrückt oder, was allerdings seltener vorkommt, in der Form des Indicative oder Conjunctive nicht in den Hauptsatz gebracht, sondern mit einem eigentümlichen Anacoluthe in einen leicht angeknüpften Relativsatz geschoben wird. (Eine Verbindung beider Fehler bietet z. B. der Satz Wig. C. 19: Magister Lyvoniensis cum copia gravi viriliter paganos dictos Santkore, quos vastaverat igne et cum rapina revertens.) Mit nicht geringerer Willkür erfindet sich der Uebersetzer für seinen Zweck neue Ausdrücke, oder giebt vorhandenen lateinischen Wörtern eine neue Bedeutung, oder er hilft sich mit den derbsten Germanismen (deducere ad casum: zum Falle bringen, dare ad sortem: preisgeben, cum salute: mit heiler Haut, cadere in vallem = nieder [ze tàle] fallen u. s. w.). Endlich begeht er hie und da offenbare Uebersetzungsfehler, wie denn z. B. C. 81 durch dieselben fast unverständlich geworden ist; namentlich lässt der Uebersetzer, wenn auch nicht so häufig wie bei der Bearbeitung des Jeroschin, die Neigung vorwalten, Wörter, die ihm nicht ganz geläufig sind, in Eigennamen umzuwandeln. So übersetzt er z. B. C. 38 die deutschen wahrscheinlich im Wigand undeutlich geschriebenen Worte: »zu einem presente« (Fragm. V. 16): juxta Prestinte, und löst, C. 113 die Reime: ein grave starke: . . von der Marke in Comes Starke de Marchia auf. Ueberhaupt haben Wigands Eigennamen sich arge Verstümmelungen gefallen lassen müssen, so wie auch von den falschen Zahlen, welche sein Buch enthält, ohne Zweifel ein guter Theil dem Uebersetzer zuzuschreiben ist. Hat man jedoch mit der Handschrift sich vertraut gemacht, durch öftere Leetüre das verletzte Sprachgefühl gegen seine Fehler etwas abgestumpft und von vorn herein darauf verzichtet, in seinen Mittheilungen überall klares Verständniss des Einzelnen gewinnen zu wollen, so überzeugt man sich bald, namentlich aus einer Vergleichung der Uebersetzung mit den Fragmenten des Originales, dass der Hessische Geistliche seine Aufgabe trotz der Eile noch ziemlich geschickt gelöst, dass er den Inhalt der Chronik im Ganzen richtig, jedenfalls richtiger als Bornbach aufgefasst und nicht ohne Talent die ausführlichen Schilderungen Wigands bei aller Kürze mit einer gewissen Lebendigkeit und Anschaulichkeit in die fremde Sprache übertragen hat. Vor allem verdanken wir dem Werke eine vollständige Uebersicht und den wesentlichen Inhalt der Reimchronik. Dass er nicht überall den im Original mitgetheilten historischen Stoff in seine Uebersetzung aufgenommen hat, ergiebt sich daraus, dass theils Schütz hie und da Ausführlicheres darbietet, theils er selbst gemachte Auslassungen nicht bloss »überflüssiger« und »müssiger« Reden, sondern auch einzelner Namen und Thatsachen ausdrücklich, insbesondere durch das hie und da angewandte: »etc.« andeutet. Doch scheint dadurch am Stofflichen nicht viel verloren gegangen zu sein. Wenigstens sieht man in Betreff sämmtlicher Fragmente des Originales, dass er in diesen Stücken nichts ausgelassen hat.
    5. Die Fragmente der Reimchronik. Es sind ihrer bis jetzt neun bekannt geworden:
    I. Dasselbe ist am Ende der dreissiger Jahre dieses Jahrhunderts vom Vicedirektor des königl. Würtembergischen Haus- und Staats-Archives E. v. Kausler auf zwei Pergamentblättern in klein Quarto, welche den Umschlag eines eingestochenen Papierheftes in klein Folio von untergeordnetem Inhalte bildeten, entdeckt, und abschriftlich der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Russischen Ostseeprovinzen mitgetheilt worden, welche es in den Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv- Est- und Kurlands T. III (Riga 1845) S. 129—133 veröffentlichte, während das Original nach einer Mittheilung des Entdeckers (d. d. Stuttgart 15. Juni 1861) jetzt nicht mehr im königl. Würtembergischen Staatsarchiv aufzufinden, sondern wahrscheinlich mit einer grossen Anzahl anderer D. O. Archivalien an das D. O. Archiv in Wien übergegangen ist. Die Schrift, dein Anfange des 15. Jahrh. zugehörig, stand in der Mitte des Blattes zwischen 4 mit Tinte gezogenen Randlinien; die Ränder waren gegen 2 Finger breit; abwechselnd war bald der innere bald der äussere Rand etwas schmäler; der obere Rand, nur schwach fingerbreit, schien abgeschnitten zu sein; für die Anfangsbuchstaben war eine ganz schmale Columne gezogen. Jede Seite zählte 31 Zeilen zwischen Linien; jeder nächste Vers, nachdem einer in der Columne begonnen hat, ist eingerückt und beginnt hinter der schmalen Columne. Die Handschrift scheint eine recht flüchtige gewesen zu sein. Wir erhalten in diesem Fragmente 124 Verse der Urschrift aus einem Abschnitte des Krieges mit Polen im Jahre 1330, die einem Theile von C. 11 der Uebersetzung entsprechen, und für die Feststellung der Bedeutung derselben namentlich in einem Satze von grossem Werthe sind.
    II. Zehn Verse von Schütz (Ed. 1592 Bl. 74. b.; Ed. 1599 Bl. 66. a.) mitgetheilt, entsprechen einer Zeile in C. 17 der Uebersetzung.
    III. Sechs Verse, die den friedlichen Sinn des polnischen Prinzen Casimir (in C. 18) schildern, von Schütz (Ed. 1592 Bl. 76. a.; Ed. 1599 Bl. 67. a.) überliefert.
    IV. und V. Zwei Fragmente von je siebzehn Versen, die durch eine kleine Lücke unterbrochen sind, der Schilderung der Schlacht an der Strebe 1348 2. Febr. angehören und mit den betreffenden Stellen in C. 38 der Uebersetzung übereinstimmen. Beide Fragmente sind von Dr. Eduard Krömecke, z. Z. in Herstell an der Weser, entdeckt, zuerst im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit (1858 Nro. 10. S. 335—36) veröffentlicht und nach dieser Mittheilung in den NPPBlättern Jahrg. 1858. II. S. 357 abgedruckt worden, wo der Berichterstatter sie mit Recht als Wigandische Verse bezeichnete. Das von einem werthlosen Buche abgelöste Pergamentstück (in der Sammlung des Dr. Krömecke mit K. a. 12. bezeichnet), auf dem die Verse sich befinden, ist 4 Zoll hoch, 6 1/2 Zoll breit; von einem zweiten Blatte, auf welchem das Gedicht sich fortsetzt, ist nur ein schmaler Streifen von 1 1/2 Zoll Breite erhalten; der untere Theil des Blattes ist abgeschnitten, so dass auf jeder Seite etwa 8 bis 10 Verse fehlen. Eine Vergleichung des Fragmentes, das der Entdecker die Gefälligkeit hatte uns zur Einsicht mitzutheilen, mit dem der Beschreibung nach bekannten Stuttgarter giebt das Resultat, dass beide zwar je einer Handschrift in Quarto, keineswegs aber einer und derselben angehörten.
    VI. Sechszehn Versanfänge, Ueberbleibsel der dritten Seite des eben beschriebenen Pergamentstreifens des Dr. Krömecke, entsprechen einigen Worten des C. 43 der Uebersetzung.
    VII. Elf Verse aus Wigands Beschreibung der Belagerung von Kowno 1362 (Wig. C. 54), von Schütz (Ed. 1592 Bl. 86. a.; Ed. 1599 Bl. 76. b.) überliefert.
    VIII. Neun und funfzig Verse aus demselben Abschnitte, von Schütz (Ed. 1592 Bl. 86. b. ff.; Ed. 1599 Bl. 77. a. ff.) mitgetheilt.
    IX. Vier und zwanzig Verse aus einer Charakterschilderung des Hochmeisters Winrich von Kniprode, bei Schütz (Ed. 1592 Bl. 93. a.; Ed. 1599 Bl. 83. a.) entsprechen einem Abschnitte des C. 127 der lateinischen Uebersetzung.
    Es sind somit nur 267 Verse, welche uns von einem Reimwerke übrig sind, das, wenn man den Umfang der jenen übrig gebliebenen Versen entsprechenden Stücke der Uebersetzung zum Maasstabe nimmt, mindestens 25000 Verse enthalten haben muss; doch auch diese wenigen Trümmer sind von nicht geringer Bedeutung, wenn es gilt über den Grad der Zuverlässigkeit der lateinischen Uebersetzung und der andern Bearbeitungen, oder gar über den Charakter des Originalwerkes und seines Verfassers ein Urtheil zu gewinnen.

III.

    Fragt man zunächst nach den Quellen, aus welchen der Verfasser des Originalwerkes geschöpft hat, so stösst man sogleich auf die auffällige Erscheinung, dass die beiden Hauptwerke der Ordensgeschichte, welche in jener Zeit wohl keinem Gelehrten in Preussen oder gar einem Mitgliede des D. O. unbekannt sein konnten, von Wigand nicht benutzt worden sind. Für den Anfang seines Werkes hätten ihm Dusburg für die Zeit von 1311—1326 und dessen Fortsetzung bis 1330, so wie Jeroschins Uebersetzung bis 1331 ein so bedeutendes Material, namentlich für die Geschichte der von ihm behandelten Ordenskriege geboten, dass er zu solchen Quellen, wenn er sie kannte, vorzugsweise hätte greifen müssen. Allein unter den 76 Kapiteln im Dusburg und den entsprechenden Abschnitten Jeroshins finden sich nur acht (Dusb. III. 306. 310. 314. 354. Suppl. 9. 17. 18. 20.), deren Inhalt auch von Wigand berührt wird, und auch in diesen weicht die Behandlung des Stoffes und weichen die darin vorkommenden Namen und Zahlen von der Darstellung der beiden Ordenschroniken in solchem Maasse ab, dass man einzig und allein in der Schilderung des Ereignisses bei Woplauken (Dusb. III. 310 und Wig. 2) auf einige übereinstimmende Züge stösst; und auch hier ist die Uebereinstimmung, namentlich in der Spottrede Witens über das h. Sakrament bei offenkundigen Differenzen in den Zeit- und Ortsangaben eine so äusserliche, dass Wigand sichtlich auf einem andern Wege zur Kenntniss auch dieser Thatsache gelangt ist. — Ebenso sicher dagegen wie die Unbekanntschaft Wigands mit diesen beiden Quellen offenbart sich seine genaue Kenntniss und eine directe Benutzung des Chronicon Olivense. Von der Wahl Carls von Trier (oben B. I. S. 710) bis zum Brande von Oliva 1350, mit welchem das Chronicon abschliesst, hat Wigand mit Ausnahme der speciell die Klostergüter betreffenden Notizen fast sämmtliche Angaben desselben, selbst solche, welche seinen Zwecken fern lagen, wie die Vergiftung Kaiser Heinrichs VII., König Ludwigs des Bayern strittige Wahl, den Besuch des Erzbischofs von Nicäa in Oliva, und den Klosterbrand selbst in sein Werk aufgenommen; ja manche Irrthümer, welche sich Wigand in diesen Abschnitten zu Schulden kommen lässt (vgl. Wig. C. 2), ergeben sich deutlich als missverstandene Auffassungen der Worte des Mönchs von Oliva.
    Eine zweite Quelle ist für ihn nachweislich Hermanns v. Wartberge Livländische Chronik gewesen. Zwar ist die Uebereinstimmung Wigands mit derselben an manchen Orten (z. B. Wig. C. 55 mit H. v. W. s. a. 1363. oben S. 84, Wig. C. 56 mit H. v. W. 1364. S. 84, Wig. C. 75 mit H. v. W. 1370. S. 96, Wig. C. 77 mit H. v. W. 1372. S. 100) aus der gemeinschaftlichen Benutzung eines und desselben ältern Berichtes abzuleiten, den Wigand in der Regel in vollständigerer Weise als Wartberge ausbeutete; dagegen finden sich bei Wigand eine ziemliche Anzahl anderer Stellen (man vergleiche namentlich Wig. C. 65 mit H. v. W. 1366. S. 86, Wig. C. 19 mit H. v. W. 1333. S. 67, Wig. C. 71 mit H. v. W. 1367. S. 89, Wig. C. 72 Anfang mit H. v. W. 1367, S. 89, Wig. C. 73 mit H. v. W. 1369, S. 94, Wig. C. 74. A. mit H. v. W. 1370. S. 96), in denen Wigand unzweifelhaft mit der Thatsache auch die eigentümliche Auffassung H. v. Wartberges sich angeeignet hat und somit nothwendig seine Arbeit benutzt haben muss (vgl. oben S. 20).
    Seltener, wenn gleich nicht minder unzweifelhaft, hat unserm Chronisten der Canonicus Sambiensis als Quelle vorgelegen, jedenfalls im Kap. 15 (vgl. Canon. Samb. s. a. 1330, oben I. S. 285) und Cap. 19. b. (Samb. s. a. 1331. oben I. S. 285).
    Ausserdem kann es nicht fehlen, dass die Gleichartigkeit des Stoffes und die für manche Jahre in gleicher Weise erstrebte Vollständigkeit der Thatsachen in den Annales Thorunenses und hie und da auch in den selbständigen Theilen Johanns von Posilge1 eine gewisse Aehnlichkeit mit Wigands Werke im Inhalte oder in der Darstellung hervortreten lässt (vgl. die den Abschnitten Wigands, C 10, 18, 40, 139 und 150 entsprechenden Stücke jener Chroniken); doch findet man in der Regel in den Thorner Annalen an Stelle der Detailschilderung Wigand's nur dürftige Umrisse der Thatsache, wogegen sich eben diese Thorner Annalen in der genauern Berücksichtigung der Chronologie so wesentlich von Wigand unterscheiden, dass man kaum in jener scheinbaren Uebereinstimmung eine beiden Werken gemeinschaftlich vorliegende Quelle vorauszusetzen Ursache hat.
    Die drei oben als Quellen unseres Chronisten nachgewiesenen Geschichtswerke haben demselben jedoch für seine Arbeit nur den geringsten Theil des Stoffes geliefert; denn nicht nur besteht der überwiegend grösste Theil der Chronik aus Abschnitten, von denen keine andere jetzt vorhandene Quelle Kunde giebt, sondern auch fast sämmtlichen Abschnitten, in denen eine uns bekannte Quelle benutzt ist, sind eine grosse Zahl neuer und eigenthümlicher historischer Momente hinzugefügt, die weit gefehlt dichterischer Phantasie oder rhetorischer Uebertreibung ihren Ursprung zu verdanken, von dem Vorhandensein sehr interessanter und gründlicher Geschichtsquellen in Wigands Zeitalter Zeugniss ablegen. Diese seine selbständigen Berichte mögen zum Theil wohl auf Autopsie oder Hörensagen beruhen; denn kaum dürfte dem Chronisten für die Ereignisse des halben Jahres 1394, in welchem er sein Werk reimte, und die er in den Kapiteln 160—164, einmal (C. 163) mit ausdrücklicher Berufung auf seine persönliche Anwesenheit bei denselben, darstellt, eine andere Quelle als jene zu Gebote gestanden haben. Für den grössern Theil seiner neuen Nachrichten jedoch hat er schriftliche Quellen benutzt, jedenfalls mehrere, mindestens drei. Oder wie wäre es sonst zu erklären, dass Wigand zu wiederholten Malen ein und dasselbe Ereigniss öfters bei ganz unwesentlichen Abweichungen in Einzelnheiten, zwei,2 ja einmal selbst als drei verschiedene Thatsachen3 in nicht grossen Zwischenräumen nach einander erzählt? Nimmt man nun hinzu, dass eine grosse Zahl dieser neuen Mittheilungen Wigands Kriegsunternehmungen sind, über deren Einreihung in ein bestimmtes Jahr er im Unsichern war, und die er daher nach blosser Vermuthung und mit absichtlich gewähltem ungenauem Ausdruck (post hec, eodem tempore) diesem oder jenem bekannten Ereigniss beifügte (man vgl. z. B. C. 74. b.), so liegt die Vermuthung nahe, dass die Quellen,4

        1) Das Verhältniss der Abhängigkeit, in welchem die Annales Thorunenses, Johann v. Posilge, Detmar, Corner und andere Hanseatische Chroniken zu einander stehen, wird im 3. Bande näher erörtert worden.
        2) So C. 55 und 59, C. 62 und 63, C. 64 und 70 a, C. 66 und 68, C. 85 und 89, C. 87 und 93, C. 97 und 99, C 98 a und 104, C. 100 a und 105, C. 100 b und 102, C. 110 a und 111 a. C. 113 und 121, C. 117 und 122, C. 136 und 140.
        3) Vgl. C. 123, 126 und 128.
        4) Die wenigen Jahre, welche Wigand auf seine Arbeit verwandte, und die geringe Kenntniss der Preussischen Verhältnisse, die er an den Tag legt, machen es wenig wahrscheinlich, dass er sich diese schwierigen Quellen selbst in der mangelhaften Weise, in der er es zu Stande brachte, allein für seinen Zweck zurecht gelegt habe, und bringen die Vermuthung nahe, dass er bereits eine nach solchen Quellen bearbeitete Geschichte Preussens vor Augen hatte. Doch fehlt es zu sehr an sicheren Anhaltspunkten, als dass man hoffen könnte, dieser Vemuthung nachgehend zu einem erspriesslichen Resultate gelangen zu können.

deren er sich bediente, gar nicht geordnete Geschichtsbücher, sondern Papiere derjenigen Art waren, wie sie uns noch jetzt in der Sammlung der littauischen Wegeberichte (Beilage I.) vorliegen, einzelne militairische Meldungen des Ordensmarschalls oder der Gebietiger in den Grenzdistrikten, etwa in Balgza, Insterburg, Bagnit u. s. w. an den Hochmeister nach Marienbnrg, über ein Ereigniss, an deren Schlusse der Meldende, wie wir es noch jetzt in jenen litauischen Wegeberichten kennen lernen, in der Regel, aber auch nicht immer, das Tagesdatum, selten das Jahresdatum anmerkte.
    Man hat aber Grund vorauszusetzen, dass Wigand Quellen solcher Art mit Vorliebe aufsuchte; denn sie entsprachen dem Zwecke, den er offenkundig in seiner Chronik verfolgte. Ueber die Veranlassung zu dieser Arbeit und ihren Zweck giebt er am Anfange seines Buches eine Erklärung, die nur dadurch an Dunkelheit leidet, dass die mangelhafte Uebersetzung es dem Leser überlassen hat, sich selbst den Schluss derselben zu ergänzen. Er habe, sagt Wigand, als er um das Jahr 1393 mit dem Hochmeister Conrad v. Wallenrod in Danzig gewesen sei, daselbst ein Buch gefunden, welches von dem Ursprünge und Wachsthume des D. O., von den zu dessen Gunsten unternommenen Kreuzfahrten und den Gunstbezeigungen, die Papst und Kaiser ihm gespendet hätten, gehandelt habe, zugleich aber auch von don Siegen des Ordens seit hundert Jahren, in Folge deren unter den Heiden in Preussen und Livland, trotz ihrer häufigen Abtrünnigkeit zuletzt der katholische Glaube fest gegründet worden sei. Darauf beginnt er dann seine Chronik mit einem Ereigniss, das nach seiner Meinung 1293 stattgefunden hat, und endet mit dem Jahre 1393. Man hat bisher unter jenem Buche die Chronik Dusburg's verstanden, und indem man in der Einleitung die Andeutung fand, dass Wigand sich die Fortsetzung jenes Buches zur Aufgabe gestellt habe, nach dem Vorgange Bornbachs und Schützens Wigand einen Fortsetzer Dusburg's genannt. Allein diese Bezugnahme auf Dusburg hat nicht die mindeste Berechtigung, einmal weil, wie oben gezeigt ist, in Wigands Arbeit völlige Unbekanntschaft mit Dusburg zu Tage tritt, sodann aber, weil auch die Beschreibung des Buches nur in ganz gezwungener Weise auf Dusburgs Chronik eine Anwendung findet. Dusburg beschreibt nicht die Ordenskämpfe seit 100 Jahren, sondern seit 140 Jahren und endet nicht mit der Befestigung des katholischen Glaubens in dem Ordenslande, sondern erklärt schon mit dem Jahre 1283 (III. C. 221) diese Glaubenskriege in Preussen für abgeschlossen, um das ganze letzte Drittel seines Werkes den Littauerkriegen zu widmen. Wie konnte endlich Wigand mit Bewusstsein ein Fortsetzer Dusburgs sein wollen, wenn seine Berichte für einen Zeitraum von 30 Jahren mit Dusburg gleichlaufen? Dagegen passt die von Wigand gegebene Beschreibung vollständig auf die nachmals zum Chronicon Olivense erweiterte alle Preussische Chronik, die ich oben (B. I. S. 675—685) auf ihre ursprünglichen Theile zurückgeführt habe. Jene Chronik begann mit dem Jahre 1190 und ihre Schlussworte führten bis auf die Zeiten Herzog Mestwi's II. von Pommerellen hinab, der 1294 oder 1295 gestorben ist (I. S. 694. not. 59). Was als Inhalt jenes Buches angedeutet wird, folgt ganz und gar dem Gange der Erzählung in jenem alten Berichte, so dass Wigand am längsten beim Anfange derselben verweilt und mit der von dem alten Berichte am Schlusse zweimal (I. S. 684 und S. 686) gegebenen Erklärung schliesst, dass die »fides catholica« nach Unterdrückung der letzten Empörungen in ganz Preussen festbegründet sei. Der Uebergang Wigands von dieser Einleitung zu seiner Chronik bestand dann unzweifelhaft in der Bemerkung, dass das Vorbild dieser alten hundert Jahre der Ordensgeschichte umfassenden Chronik auch ihn bestimmt habe, die nächstfolgenden hundert Jahre der Ordenskämpfe zu besingen. Es lag nahe, dass er, indem er jene alte Chronik fortsetzte, die bereits vorhandene lateinische Fortsetzung derselben, welche damals, wie man aus Wigands Bemerkungen schliessen muss, die jetzt in so unnatürlicher Weise (I. S. 655) eingefügte Geschichte von Ostpommern noch nicht als unmittelbaren Bestandteil enthielt, zur Grundlage seiner Darstellung machte.
    Diesen Plan, hundert Jahre der Ordenskriege darzustellen, hat Wigand denn auch in seinem Werke ganz unabhängig von dem Vorbilde Dusburgs durchgeführt. Zwar ist seine Chronik der des letzteren darin ähnlich, dass sie fast ausschliesslich Kriegsgeschichte ist. Es ist bemerkenswerth, dass das grosse Werk ausser denselben nur noch kurze Meldungen über den Tod und die Wahl von Hochmeistern, einige fremdländische Notizen aus dem Chronicon Olivense, eine Mittheilung über eine Sonnenfinsterniss, zwei Berichte über die Einführung neuer Kirchenfeste (C. 27. und 96), zwei Berichte über den Empfang kostbarer Reliquien (C. 85 und 108), zwei über Klosterbauten (C. 58 und 78), einen Besuch Kasimirs in Marienburg (C. 67) und Lobreden auf die Hochmeister Luther v. Braunschweig (C. 20), Conrad v. Wallenrod (C. 157) und Winrich v. Kniprode (C. 127) enthält, von welchen die beiden ersten Fürsten wegen ihrer frommen Werke gepriesen werden, Winrich aber als das Ideal eines Helden dargestellt (C. 42 und 127) wird, der aus besonderer göttlicher Gnade der Welt gegeben sei, dessen friedliche Tugenden der Dichter allerdings anerkennt, dessen Verdienste er aber hauptsächlich in seinen Kriegsreisen und den damit verbundenen Werken der Frömmigkeit sucht. Wenn aber Dusburg solche Kriege von dem Standpunkte eines von den hierarchischen Interessen seiner Zeit durch und durch erfüllten Geistlichen und eines nicht minder für die heilige Mission seiner Genossen begeisterten Ordensritters betrachtete, so sind bei Wigand von religiösen und politischen Tendenzen nur geringe Spuren zu finden. Von Wundern oder Acten der Büssung und Selbstpeinigung, die bei Dusburg keine so wichtige Rolle spielen, weiss Wigand nichts, und von frommen Betrachtungen kommt wohl hie und da ein Gebet für die Seele eines im Kampfe gefallenen Ritters (C. 75, 89, 92, 147. u. a.), oder die Anerkennung, dass sie für das zeitliche das ewige Leben erkauft habe (C. 75), vor, wie er denn auch einmal Weh und Verdammniss über die Ungläubigen ruft (C. 123); aber alle diese Betrachtungen erscheinen als absichtslos hingeworfene herkömmliche Redeweisen ebenso äusserlicher Art, wie die Frömmigkeit der Helden in der Chronik ausschliesslich nach äusserlichen Acten der Werkheiligkeit, etwa erbauten Kirchen und Klöstern, Verehrung der Reliquien oder Kämpfen für die Ausbreitung des Glaubens (C. 95) abgemessen wird. In noch grösserm Maasse vermisst man bei Wigand Dusburgs tendenziöse Parteinahme für den Orden. Was ihn sichtlich mit einer gewissen Vorliebe für denselben erfüllt, das sind nicht dessen politische oder religiöse1 Zwecke, sondern die Kriegsreisen, die hier mit ungeschwächter Lust zur »Uebung der Ritterschaft« Jahr aus Jahr ein fortgesetzt werden, so dass man traurig daheimsitzt, wenn Regenwetter die Ausfahrt der Helden verhindert (C. 129); aber mit nicht viel geringerm Interesse stellt er auch die tapfern Thaten der Heiden dar; mit sichtlichem Wohlgefallen berichtet er über einen dem Kynstut wohlgelungenen Ueberfall auf die Bosse des Ordensheeres (C. 69), ja er hat an einer Stelle, wo er von »Feinden Christi« spricht, der Grossmuth Kynstuts gegen Christen Worte des Lobes gespendet (C. 106). Dagegen wendet er ganz abweichend von Dusburg den Einzelnheiten in den Kriegsereignissen vorherrschend sein Interesse zu. Während ihm die politischen Zwecke, die Ursachen und Wirkungen der Kämpfe durchaus gleichgültig erscheinen, gefällt er sich in der ausführlichen Beschreibung der Schlachten und Belagerungen, der dabei angewandten Kriegsmittel, der Einzelkämpfe, der Zahl und Farbe der Kriegsfahnen und der um das Recht, die S. Georgsfahne zu tragen vorgefallenen Streitigkeiten; nicht minder berichtet er mit sichtlicher Theilnahme über das Ceremoniell dieser Ritterkämpfe, die Turniere, Austheilungen des Ritterschlages, die Ehrentische und die zur Verherrlichung der Siege gefeierten kirchlichen Festen; ja er ermüdet nicht alle die einförmigen und resultatlosen kleinen Streifzüge in die Wildniss oder in das feindliche Gebiet aufzuzählen, die sich von Räuberthaten wenig unterscheiden und bei denen von der Ehre Gottes und einer Verherrlichung des Glaubens nicht die Rede war. Man erkennt, es kommt ihm einzig und allein auf die Verherrlichung jenes äusserlichen Ritterthums seiner Zeit an, das in denselben Jahren an dem Oesterreicher Peter Suchenwirt (oben S. 155) einen so begeisterten Lobredner fand, während es von Heinrich dem Teichner (oben S. 161) schon in allen seinen Blössen dargestellt wird. Auch Wigand scheint an einer Stelle (C. 141) mit denen, die an den Kriegsreisen in Preussen gegen die schon zum Christenthum übergetretenen Littauer Aergerniss nahmen, in Versen eine Lanze gebrochen zu haben.
    Mit dieser Tendenz des Buches steht es nicht im Widerspruch, wenn es Wigand um die Zuverlässigkeit seiner Berichte nicht gerade besonders zu thun war. Dass er die ihm vorliegenden Ueberlieferungen ohne strenge Prüfung und Sichtung ihres Inhaltes in seine Reime übertrug, erkennt man schon aus der häufigen Umwandlung eines und desselben Ereignisses in zwei oder noch mehrere, wenn er sie in verschiedenen Quellen fand. Schütz zählt ihn zu den nachlässigen Schriftstellern, die sich der Genauigkeit in der Angabe der Namen nicht befleissiglen; auch der lateinische Uebersetzer spricht von der Unvollkommenheit des Originales (C. 165). Die Kürze der Frist von nur wenigen Jahren, in der Wigand (C. 165) seine Arbeit vollendete, mag auch manche Spuren von Flüchtigkeit hinterlassen haben, um welcher willen er selbst um Nachsicht bat. Für uns ist es schwer hierüber ein sichres Urtheil zu fällen, da nicht genau zu ermitteln ist, welcher Antheil an den zahlreichen Irrthümern seines Werkes in der Chronologie und in den Namen ihm, und welcher seinem Uebersetzer oder

        1) Selbst die Rede (Schütz zu C. 24), welche Wigand dem Ordensmarschall unter den ernstesten Verhältnissen in den Mund legt, verweist die Ordenskrieger nur ganz nebenher auf den Glauben und bringt vorherrschend die Kriegsbeute, die Schande der Niederlage und ahnliche äussere Motive zur Sprache.

Bearbeiter zur Last fällt; jedenfalls beweisen die ihm allein angehörenden Irrthümer am Anfange der Chronik (C. 2) und die falschen Angaben über den Tod und den Regierungsantritt mehrerer Hochmeister, sogar derjenigen, die seiner Zeit, ja selbst seiner Person so nahe standen (C. 144 und 159), dass er über die Geschichte des D. Ordens nur unvollkommen unterrichtet war.
    Ueber die schriftstellerische oder gar dichterische Begabung Wigands wagen wir angesichts einer so geringen Zahl von Fragmenten des Originals noch weniger ein bestimmtes Urtheil zu fällen. Anscheinend hat er sich über das Niveau zahlreicher ähnlicher Arbeiten seiner Zeitgenossen, in denen das Dichten oder vielmehr Reimen in ziemlich mechanischer Weise betrieben wurde, wenig erhoben. Er hat bei öftrer Gelegenheit Reden und Betrachtungen seiner Erzählung eingeflochlen, von denen sein Uebersetzer wenig erbaut gewesen zu sein scheint, da er sie lang (C. 127. 147. 157.) oder gar inhaltsleer (C. 14) nennt; eine Probe solcher Reden, die uns im achten Fragmente vorliegt, scheint jedoch ebenso wenig wie der von Schütz ausführlich mitgetheilte Inhalt einer andern (zu C. 24) Rede diesen Vorwurf zu rechtfertigen, da in beiden Beispielen weder Inhalt noch eine lebendige selbst drastische Darstellung vermisst wird.
    Diese Eigentümlichkeiten Wigands in dem Plane und in der äussern Darstellung seiner Arbeit gestatten schliesslich einige Rückschlüsse auf seine sonst fast ganz unbekannte Person. In Betreff derselben herrschte seit dem Ende des 16. Jahrh. bis vor wenigen Jahren die unangefochtene Tradition, Wigand v. Marburg oder auch von Wartemberg, ein Ritter und Bruder des D.O. habe zur Fortsetzung Dusburgs seine Reimchronik verfasst. Wir sind jetzt, namentlich durch die Auffindung des Schützeschen Autographons, im Stande dem Ursprung dieser Tradition bis zu seinen ersten Quellen nachzugehen und die in ihr enthaltenen Irrthümer klar nachzuweisen.
    Diejenigen, welche aus eigener Kenntniss des Wigandischen Originalwerks über dasselbe berichteten, Bornbach und Caspar Schütz, nennen in ihren ersten Berichten übereinstimmend als den Verfasser desselben »einen gewissen Wigand.« Bornbach sagt in der Vorrede eines Bandes seiner Chronik (Kgl. Biblioth. in Berlin MSS. Boruss. fol. 248), die er 15. Dec. 1564 niederschrieb, und in welcher er sich über die Quellen der Preussischen Geschichte äussert: »Wigandus ein alter Scribennt continuirtt die Historiam (Petri de Dusborg) weiter biss z. J. 1393 und hotts reymweiss alles sehr vleissig beschrieben.« Und in gleichem Sinne urtheilt Caspar Schütz zunächst in einem frühem Werke: »Annalium civitatis Dantiscanae libri III« (MS.): »Ejus [Petri de Duisborg] historiam continuavit Wigandus quidam rythmis usque ad a. 1394.« Und dem entsprechend heisst es auch im Autographon seiner preussischen Chronik, und zwar im ersten Entwurfe: »Wigandus hatt yhn (Petrum de Duysberch) continuiret in Deutsch reimweise bis a. 1394 vnd sonderlich bella Lituanica.« In seiner fortgesetzten Beschäftigung mit der preussischen Geschichte stieg jedoch Schützen die Vermuthung auf, dass Wigand dem D. O. als Ritter oder geistlicher Bruder angehört haben müsse, und in diesem Sinne spricht er sich im ersten Entwurfe seines Brouillons so aus: »Die Ordensherren haben selbst auch mehr den kriegen als den studiis obgelegen vnd allewege mehr auff Reuter als Redener gewendet. Ich weis auch nicht, ob iemandt mehr des ordens gewesen sey, der yhre geschicht beschrieben habe ausserhalb was Petrus de Duysborch gethan, der doch gleichwol als ein geistlicher, vnd der selbst bei den furnehmesten kriegs vnd andern, hendeln nicht gewesen ist, sehr kurtz vnd schlecht herdurch gehet. Sonst ist noch einer, bruder Wigandus, der Reimweise geschrieben.« In dieser Ansicht von einem Bruder Wigand wurde nun Schütz sichtlich dadurch bestärkt, dass er in den handschriftlichen Werken seines Freundes Bornbach den Bruder Hermann v. Wartberge als Verfasser einer Chronik aus dem 14. Jahrh. genannt fand, den er dann auch in der Erwartung, sich seiner als Geschichtsquelle bedienen zu können, in das Quellenverzeichniss seines Brouillons gleich hinter Wigand aufnahm mit den Worten: »Bruder Herman von Wartenberg hatt geschrieben anno 1378.« Da er aber diese Chronik nie zu sehen bekam (wie denn in seiner preussischen Geschichte unter der lievländischen Chronik, die er nennt, stets die Rüssowsche gemeint ist), so hat das in ihm anfangs die Vorstellung erzeuge, Wigand und Bruder Hermann v. »Wallenberg« seien eine und dieselbe Person; was ihn denn auch bestimmte, an zweien Stellen seines Buches, an denen er Wigand citirt hatte, zu dem Namen »Wiganda einmal, C. 17, Bruder (W.) von Wartemberg, das andre Mal C. 54 v. Wartemberg hinzuzusetzen, welche Zusätze, da er sie bei der spätern Correctur der Handschrift wohl übersah, auch in den Druck hinübergenommen wurden. Bei näherer Umschau in der Wigandischen Chronik überzeugte er sich jedoch von seinem Irrthume, indem er in derselben den vollständigen Namen Wigands auffand. In Folge dessen wurde jetzt im Quellenverzeichnisse des Brouillons die Stelle über Hermann von Wartenberg ausgestrichen und der Anfang der Stelle, die von Wigand handelt, in die Worte umgewandelt: »Wigandus von Marburg, wie er sich selbst nennet in dem beschlus« etc. Obgleich somit der Irrthum über Herman v. Wartberg aufgeklärt war, so hielt Schütz doch auf Grund des aufgefundenen scheinbaren Adelstitels fortan an der Ansicht fest, dass Wigand ein Ritter und geistlicher Bruder des Deutschen Ordens sei. Demgemäss wurde in der Vorrede der oben mitgetheilte Zweifel, ob ausser Dusburg noch andere Ordensritter die Thaten des Ordens beschrieben hätten, in die directe Behauptung umgewandelt: »Es seint wol ettliche des Ordens gewesen, die yhre geschicht beschrieben haben als Petrus de Duysborch, Wigandus von Marburg [ursprünglich stand geschrieben »Wigandus, Herman von Wartemberg;« dann wurde Herman und Wartemberg ausgestrichen und über »Wartemberg« »Marburg« gesetzt], Heinrich Caper, aber doch gleichwol als geistliche leute, vnd die selbst bei den furnehmesten kriegs vnd andern hendeln nicht gewesen sein, sehr kurtz vnd schlecht herdurchgehen.« Dem entsprechend enthalten die gedruckten Chroniken Schützens im Quellenverzeichniss die feste Behauptung, und zwar die erste Ausgabe (1592): Wigandus von Marburg, ein Ritterbruder des Ordens, und die zweite Ausgabe (1599): ein Ritter, Bruder dess Ordens hat Petrus von Dusborg continuiret« u. s. w.
    Diesem Nachweise gemäss entbehren somit die Behauptungen, dass Wigand ein Fortsetzer Dusburgs, dass er ein Bruder des D. O. und dass er ein Ritter gewesen, in gleichem Maasse jeder äussern Beglaubigung und sind leere zum Theil auf entschieden falschen Voraussetzungen gegründete Vermuthungen. Dass Bornbach und Schütz darauf verfielen, ihn zum Fortsetzer Dusburgs zu machen, ist verzeihlich, da sie, unbekannt mit dem Chronicon Olivense, keine andere Quelle kannten, die sie mit unserer Chronik in Verbindung bringen konnten; uns, denen jene wichtige Quelle jetzt aufgeschlossen ist, liegt ihr Irrthum klar zu Tage. Die Annahme, dass Wigand ein Bruder des D. O. gewesen sei (was er sein konnte ohne dem Ritterstande anzugehören), hat ihren Ursprung in einem argen Missverständniss Schützens, und wird durch den Charakter der Chronik nicht im Mindesten unterstützt. Dafür endlich, dass er ein Ritter gewesen sei, sind weder äussere noch innere Zeugnisse vorhanden; denn dass der Zuname: »v. Marburg« ebensogut eine Bezeichnung seines Geburtsortes als einer Adelsfamilie sein kann, liegt auf der Hand; ja man muss eher an einen Geburtsort denken, da eine Adelsfamilie dieses Namens nicht bekannt ist. Dagegen geht aus dieser Untersuchung als sicheres Resultat hervor, dass Schütz »am Beschlüsse« (das kann auch heissen in der letzten Hälfte) des Originalwerkes eine Stelle fand, in welcher der Dichter sich selbst Wigand von Marburg nannte; und wenn nun in der lateinischen Uebersetzung (C. 147) in einem Satze, den der Uebersetzer sichtlich nicht verstanden hat, die Worte: Wigandi de Margborg vorkommen, so sind diese Worte unzweifelhaft als die von Schütz gemeinten anzusehen. Schon aber die an dem Namen des Dichters hier zu bemerkende geringe Veränderung bringt uns um einen bedeutenden Schritt der Ermittelung der Person unsere Dichters näher.
    In dem Tresslerbuche des D. O. (im Königsberger geh. Archiv, f. 267. b.) nämlich findet sich beim Jahre 1409 die Notiz:1 Item ij marc wygant von Marcburg eym herolde gegeben von des meistere vnd groskompthurs geheyse, der huskompthur his [d. h. gab den Befehl zur Zahlung]. Kaum kann man zweifeln, dass unter diesem Herolde der Verfasser unserer Chronik gemeint ist; so sehr stimmt schon die Namensform Marcburg mit dem in der lateinischen Uebersetzung genannten Margborg; noch mehr aber passt ein Herold zu der Eigenthümlichkeit des vorliegenden Werkes. Die Herolde2 bildeten in dieser Zeit des prunksüchtigen Ritterthumes einen wichtigen und geachteten Stand, die keinem Fürstenhofe, nicht einmal im heidnischen Littauen fehlten, und zwar bedurfte jeder Hof in der Regel einer ganzen Anzahl derselben, die durch besondere Tracht und Embleme ausgezeichnet, in einer zunftartigen Verbindung lebten, deren Haupt der Wappenkönig war, und in welcher es ausser den Herolden noch sogenannte Wappenkündiger oder Persevanten (Poursuivans) gab, welche sich zu künftigen Herolden ausbildeten, und Läufer oder Boten, welche als Lehrlinge zu betrachten sind. Neben diplomatischen Sendungen, zu denen sie häufig verwendet wurden, war ihnen die Aufsicht über die ritterlichen Spiele und Feste und die Aufrechthaltung der Gesetze ritterlicher Courtoisie und der Waffenetikette anvertraut, wofür unter anderm eine genaue Bekanntschaft mit den turnierfähigen Familien und ihren Wappen gefordert wurde. In ausgedehnterer Weise wird man am Ordenshofe in Marienburg solche Kenntnisse verlangt haben, da hier der Adel von ganz Europa zusammenströmte, und wird daher vielleicht nirgends in deutschen Landen die mit solchen Kenntnissen ausgestatteten Herolde höher geachtet haben als hier, wo, wie Wigand selbst (C. 110) erzählt, 1381 ein ausländischer Persevant zum Ritter geschlagen wurde. Ein solcher in der Geschichte der Adelshöfe vornehmlich in Deutschland und Frankreich wohlerfahrener Herold, von der regsten Theilnahme für alles ritterliche Thun und Treiben, ohne doch persönlich in dasselbe einzugreifen und zugleich geübt über

        1) A. v. Mülverstedt hat das Verdienst diese Notiz gefunden und zuerst auf ihre Bedeutung aufmerksam gemacht zu haben (Neue Preuss. PBlätter Jahrg. 1855. B. I. S. 32. [See also Joachim, Erich (Hrsg.), Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 - 1409, Königsberg i. Pr.: Thomas & Oppermann, 1896, p.524.]
        2) Vgl. Bernd's allgemeine Wappenwissenschaft. Bonn 1841. I. S. 13 ff.

alle diese Verhältnisse berührenden Ereignisse in wohlgesetzter Rede, und selbst in Reimen sich auszudrücken, entspricht vollkommen dem Bilde, welches uns in dem Verfasser unserer Reimchronik entgegentritt.
    Ueber die sonstigen Lebensverhältnisse dieses Wappenheroldes sind wir zur Zeit fast ohne alle Kunde. Da unter dem Namen seines Geburtsortes Marcborg oder Margborg ebenso gut Marburg in Hessen als eines der zahlreichen Marienburge verstanden werden kann, so würde ich aus innern Gründen der Stadt Marburg1 den Vorzug geben, einmal weil die mangelhafte Bekanntschaft mit der Geschichte des Ordens bei einem gebildeten Ein- oder Anwohner Preussens zu auffallend erscheint, sodann aber, weil die Anrufung der h. Elisabeth, der Schutzheiligen Marburgs, am Anfange des Gedichtes (C. 1) lebhaft an eine hessische Heimath erinnert. Aus dem Gedichte selbst erhalten wir die Notiz, dass er sich in der Begleitung des Hochmeisters Conrad v.Wallenrod, der vom 12. März 1391 bis 1393 25. Octbr. regierte, befand. Innerhalb dieser drei Jahre, also möglicher Weise schon 1391, lernte er in Danzig das alte Buch vom deutschen Orden mit der Fortsetzung der Mönche von Oliva kennen und wurde durch dasselbe zur Abfassung seines Werkes angeregt, das er noch bei Lebzeiten Conrad's von Wallenrod, also bis zum 25. October 1393 beendete. Schon aus dieser Erklärung des Dichters in der Einleitung (C. 1) geht deutlich hervor, dass er mit dieser vollendeten Arbeit nicht die uns vorliegende ganze Chronik, sondern höchstens den mit C. 158 abschliessenden Theil gemeint haben kann; wahrscheinlich hat sie schon mit C. 157 abgeschlossen, in welchem Abschnitte er am Schlusse den verstorbenen Hochmeister »in langer Bede« verherrlichte. Diese Chronik hat Wigand im folgenden Jahre 1394, während er selbst an dem Feldzuge des Hochmeisters gegen Wilna, wie es scheint, als Zuschauer theilnahm, durch Aufnahme aller bis zum September 1394 vorgefallenen Ereignisse fortgesetzt und diesen Anhang nach halbjähriger Arbeit am 20. October 1394 beendigt. Wenn man in solcher Weise die in der Einleitung und am Schlusse (C. 165) der Chronik scheinbar sich widersprechenden Nachrichten2 vereinigt, so gelangt man zum Resultat, dass der Chronist nicht, was schon an sich kaum möglich erscheint, 6 Monate, sondern, noch immer eine kurze Zeit für ein solches Werk, 3—4 Jahre an seinem Gedichte arbeitete. Bornbach, der, wie wir oben zeigten, seinen Auszug mit 1393 abschloss, hat ohne Zweifel ein Exemplar der Chronik, dem der Nachtrag von 1394 fehlte, benutzt.

IV.

    Nicht leicht dürften bei der Herausgabe eines ältern Schriftwerkes so viele Schwierigkeiten zu überwinden sein, als bei dieser Chronik, wo neben der Aufgabe den Inhalt einer verloren gegangenen Schrift aus zerstreuten Trümmern zu einem Ganzen wieder zu gestalten, die nicht minder schwierige Aufgabe zu lösen war, die zahllosen Fehler, Irrthümer und Unklarheiten, die sich in sprachlicher und sachlicher Beziehung in den Text der Ueberlieferung eingeschlichen haben, aufzudecken und so weit es möglich war, zu berichtigen.

        1) Doch will ich nicht verschweigen, dass der Name Wigand sich in dieser Zeit als Familienname, in der wenig abweichenden Form Vygans in Marienburg findet. In einer in Riesenburg 1379 18. Aug. (Voigt. C. Dipl. Pruss. III. p. 179 [p. 180 seems to be correct.]) ausgestellten Urkunde kommt als Zeuge Petir Vygans, Steinmeister zu Marienburg vor.
        2) Wenn Wigand 6 Monate vor dem 20. Octbr. 1394, also 20. April 1394 sein Werk begann (C. 165), so steht das im Widerspruche mit C. 1, wo die Arbeit unter der Regierung Conrad von Wallenrods vollendet sein soll.

    Zur Herstellung eines möglichst vollständigen Textes habe ich die lateinische Uebersetzung zur Grundlage gemacht, sie, da ihr eine durchgehende Eintheilung in Abschnitte fehlt, in Capitel gesondert, deren Zahlen an den Rand gesetzt sind. Jedem dieser Capitel, welche hie und da in Unterabtheilungen geschieden worden sind, sind am Ende die ihm entsprechenden Stücke im Bornbachischen Auszuge und in der Schützischen Bearbeitung, letztere nach dem Autographon desselben, in kleiner Schrift hinzugefügt, und wo Fragmente des Gedichtes selbst vorhanden sind, diese in grosser Schrift neben die lateinische Uebersetzung in gespaltener Columne gesetzt worden. Der hinzugefügte kritische Commentar giebt theils über die zahlreichen in der Handschrift der Uebersetzung von ihrem Schreiber vorgenommenen Correcturen, theils über die Aenderungen, welche von uns im Texte der Uebersetzung und der Fragmente gemacht sind, theils endlich über die wichtigsten Abweichungen unseres Textes von der Textes-Recension der Voigt-Raczyńskischen Ausgabe Aufschluss. Die nächste Sorge betraf die sehr häufig schwankenden oder offenkundig falschen Zeit angaben der Chronik, welche ich überall auf Grund der vorhandenen urkundlichen Berichte oder der Chronik Hermanns v. Wartherge und der Thorner Annalen einer genauen Revision unterzog, deren Resultate, insoweit sie mit Sicherheit zu gewinnen waren, am Rande dem Texte beigefügt sind. In dem sachlichen Commentare hielt ich es zunächst für meine Pflicht an den Stellen, welche wegen Unklarheit des Ausdruckes eine verschiedenartige Auflassung zulassen, dem Leser mitzutheilen, ob und wie ich dieselben verstanden habe, während ich die sachlichen Schwierigkeiten mit Hülfe der noch vorhandenen zeitgenössischen Quellen wegzuräumen mich bemühte. Hiebei bemerke ich, dass ich auch für die littauischen Verhältnisse aus nur zu sehr gerechtfertigtem Misstrauen von allen nicht unmittelbar aus derselben Zeit stammenden Quellen, namentlich von Długosz, Kojalowicz, Karamsin u. A. mich fern gehalten und ausser den in den Beilagen milgetheilten Originalquellen nur noch die von A. N. Popow 1854 im ersten Bande der gelehrten Denkschriften der Petersburger Akademie der Wissenschaften in russischer Sprache herausgegebene Chronik der Grossfürstcn von Littauen, deren Verfasser zwischen 1380 und 1450 lebte, zu Hülfe genommen habe; auch letztere Chronik wird im dritten Bande in deutscher Uebersetzung ganz oder im Auszuge mitgetheilt werden. Endlich ist in den Beilagen die reiche Masse des in nichtpreussischen gleichzeitigen Schriften enthaltenen unsere Chronik ergänzenden Stoffes nach der im Vorworte zu denselben gegebenen Uebersicht niedergelegt worden. In der Sammlung des Stoffes sowie bei der Entzifferung der Handschrift haben mich meine Freunde, die Herren Töppen und Strehlke, mit aufopfernder Hingebung unterstützt, wofür ich Ihnen auch an dieser Stelle zu danken mich gedrungen fühle; dem letztern verdanke ich namentlich die Textes-Recension der Fragmente.
    Schliesslich bitte ich den Leser zu beachten, dass Alles, was am Rande des Textes angemerkt oder im Texte mit eckigen Klammern eingeschlossen ist, dem Herausgeber, alles aber, was sonst innerhalb des den Text begränzenden Randes sich befindet und namentlich auch das von runden Klammern Eingeschlossene dem Originale angehört.





fol. 279.

CRONICA NOVA PRUTENICA
SED IN MULTIS SUPERFLUIS VERBIS DESCISA,
INCHOATAQUE ANNO 1293 ET TERMINATA ANNO 1391 VEL CIRCA.

in preparation...

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